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Kalt, kaltes Herz

Kalt, kaltes Herz

Titel: Kalt, kaltes Herz
Autoren: Keith Ablow
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    Dienstag, 5: 50
    Ich fuhr hoch. Der Schweiß lief mir übers Gesicht. In der Dunkelheit hielt ich Ausschau nach meinem Vater. Ich sah die silberne Schließe seines Gürtels aufblitzen und versuchte voller Angst zu fliehen. Doch seine Finger schlossen sich um meinen Oberarm, und obwohl ich mich wehrte, zerrte er mich zurück. Ich sträubte mich kaum, denn ich wußte, daß ich keine Chance hatte. Dann riß mich das Klingeln des Telephons auf dem Nachttisch aus dem Schlaf. Kathy rüttelte mich. »Jetzt heb schon ab!«
    Ich tastete nach dem Hörer. »Clevenger«, keuchte ich.
    »Frank, hier ist Emma Hancock. Entschuldigen Sie, daß ich Sie geweckt habe.«
    »Kein Problem.« Schwer atmend ließ ich mich auf die Matratze sinken. Das Kissen in meinem Nacken war schweißnaß und fühlte sich kalt an. »Dann laufe ich eben weniger.«
    »Was?«
    Heftig rieb ich mir mit dem Handballen die Augen. »Ich wollte sowieso gerade aufstehen und joggen gehen.«
    »Ein bißchen Frühsport, aha. Soll gut für die Psyche sein.«
    »Stimmt. Aber Sie rufen mich doch bestimmt nicht um diese Uhrzeit ab, um über meine Psyche zu reden.«
    »Leider nein. Wir haben wieder einen Fall für Sie. Ein Obdachloser hat im Wald hinter dem Stonehill Hospital eine junge Frau umgebracht.«
    »Und?«
    »Und was?«
    »Warum rufen Sie mich an, Emma? Wozu brauchen Sie einen Seelenklempner?«
    »Er hat ihr die Brüste abgeschnitten, bis runter auf die Rippen, und sie regelrecht niedergemetzelt. Dann hat er uns von einer Telephonzelle aus angerufen, rumgebrüllt wie ein Irrer und gesagt, er hätte eine Jungfrau getötet. Er hat neben der Leiche auf uns gewartet. Als wir ankamen, war er von oben bis unten voller Blut.«
    Am liebsten hätte ich aufgelegt. Ich hatte keine Lust, mir die Geschichte weiter anzuhören. Mein letzter Mordfall lag noch nicht einmal einen Monat zurück und hatte mich so runtergezogen, daß ich nach einem halben Jahr Abstinenz rückfällig geworden war. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, die Gerichtspsychiatrie an den Nagel zu hängen und meine Praxis wieder zu eröffnen. Doch ich wußte, daß ich nicht in der Lage war, anderen Menschen zu helfen. Vielleicht war ich das ja nie gewesen. »Was wissen Sie über ihn?« fragte ich.
    »Ich weiß nur, daß er eine Schraube locker hat. Bei der Festnahme haben wir ein volles, zwei Jahre altes Fläschchen Thorazin bei ihm gefunden. Und er behauptet, er heißt William Westmoreland. Das müssen Sie sich mal vorstellen: wie der General. Der Typ ist keine gute Werbung für Ihren Berufsstand, was, Frank?«
    Darauf sagte ich nichts. Beamte bei der Mordkommission wie Hancock brauchen ihren Sicherheitsabstand zur Psychiatrie. Ansonsten müßten sie sich irgendwann einmal fragen, warum sie sich dauernd mit Mördern abgeben. Vielleicht würden sie auf die Idee kommen, die Seiten zu wechseln. »Warum ist es so eilig?«
    »Weil ich von Ihnen die Bestätigung brauche, daß der Mann zurechnungsfähig ist – wenigstens soweit, daß er eine Aussage machen kann. Er will ein Geständnis ablegen, und ich möchte nicht warten, bis er es sich anders überlegt.«
    »Was will er denn gestehen?«
    »Wie bitte?«
    »Was will er gestehen?«
    »Sind Sie noch nicht ganz wach? Ich habe Ihnen doch eben erzählt, daß ich eine tote Frau in der Leichenhalle liegen habe, mit Kratern, wo eigentlich ihre Brüste sein sollten.«
    »Wie heißt sie?«
    »Sie hatte keinen Ausweis dabei, Frank. Sie war nackt. Wann können Sie hier sein?«
    »In zwei Stunden.« Ich hängte ein, knipste die Nachttischlampe an, legte mich auf mein durchgeschwitztes Kissen und wartete auf den richtigen Kick zum Aufstehen.
    »Verläßt du mich schon wieder wegen einer Leiche?« flüsterte Kathy. Verschlafen rollte sie sich zu mir herüber und kuschelte den Kopf an meine Brust.
    »Ich habe gesagt, in zwei Stunden.«
    »Gut.« Sie lächelte. Dann streifte sie das Laken zurück und zeigte mir ihren nackten Körper. Abgesehen von ihrem cremeweißen Hintern war sie nahtlos braun.
    »Wieder so ein blöder Mord. Ich weiß nicht, ob ich ...«
    »Pssst.« Sie legte den Finger an die Lippen, rutschte dann nach unten und fuhr mit der Zunge meinen Bauch entlang. Ich verließ mein viktorianisches Haus in Marblehead mit Blick auf Preston Beach und machte mich auf den Weg nach Lynn. Und wie immer am Morgen brachte mich diese zehnminütige Autofahrt mit jedem Kilometer in eine völlig andere Welt. Je weiter ich die Küste entlangfuhr, desto seltener wurden die
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