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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang
Autoren: Tom Hodgkinson
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8 UHR MORGENS
    Aufwachen – eine Qual
    Laßt uns faul in allen Sachen,
    Nur nicht faul zu Lieb’ und Wein,
    Nur nicht faul zur Faulheit sein.
    Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781)
    Den Besten fehlt jegliche Überzeugung, während die
Schlechtesten voll leidenschaftlicher Gespanntheit sind.
    W.B.Yeats »The Second Coming« (1921)
    Ob der hart arbeitende amerikanische Rationalist und Fleißapostel Benjamin Franklin wohl gewusst hat, wie viel Elend er in die Welt bringen würde, als er sich im Jahr 1757 mit puritanischer Inbrunst für den banalen und offenkundig unwahren Aphorismus »Früh schlafen gehn und früh aufstehn schafft Reichtum, Weisheit, Wohlergehn« einsetzte und die Werbetrommel rührte?
    Es ist eine traurige Wahrheit, dass wir von frühester Kindheit an mit dem moralischen Märchen tyrannisiert werden, dass es richtig, sittsam und gut ist, beim Erwachen augenblicklich aus dem Bett zu springen, um uns so schnell und fröhlich wie möglich an irgendeine nützliche Arbeit zu machen. In meinem Fall war es meine Mutter, die mich, ich erinnere mich deutlich, jeden Morgen anschrie, ich solle gefälligst aufstehen. Während ich mit geschlossenen Augen in seliger Behaglichkeit dalag und versuchte, einem schwindenden Traum nachzuhängen und mit allen Mitteln ihr Geschrei zu überhören, begann ich mir auszurechnen, wie ich in kürzester Zeit aufstehen, frühstücken und zur Schule rennen könnte, um dort zur Morgenandacht keine Sekunde zu früh zu erscheinen. All diese geistigen Findigkeiten und Mühen wandte ich an, um ein paar Augenblicke länger glücklich vor mich hindösen zu können. So beginnt der Müßiggänger mit dem Erlernen seiner Kunst.
    Die Eltern wenden diese Gehirnwäsche als Erste an, und dann prügelt die Schule ihren Zöglingen die Notwendigkeit zeitig aufzustehen mit noch drastischeren Methoden ein. Ein schlechtes Gewissen darüber, dass ich mich körperlich vollkommen außerstande sah, am frühen Morgen aufzustehen, hatte ich noch mit weit über zwanzig. Jahrelang kämpfte ich mit Gefühlen des Selbsthasses, die meine morgendliche Apathie begleiteten. Ich nahm mir vor, um acht aufzustehen. Als Student dachte ich mir ein kompliziertes Wecksystem aus. Ich kaufte mir eine Zeitschaltuhr und stellte sie so ein, dass sie meine Kaffeemaschine und zugleich meinen Plattenspieler in Gang setzte, auf den ich meine lauteste Platte gelegt hatte, Alive von The Ramones. Zehn vor acht war die vorgesehene Zeit. Ich hatte die Platte so eingestellt, dass sie mit ohrenbetäubender Lautstärke losging. Da es sich um eine Live-Aufnahme handelte, waren vor dem ersten Song Publikumsgeräusche zu hören. Der Beifall und das Geschrei weckten mich, und ich wusste, ich hatte nur wenige Sekunden Zeit, um aus dem Bett zu springen und die Lautstärke runterzudrehen, bevor Dee Dee Ramone »one – two – three – four« ächzen konnte und die Anfangsakkorde von »Rockaway Beach« donnernd über meine Mitbewohner und mich herfielen. Die Idee war, dass ich anschließend Kaffee trinken und meinen Körper allmählich ans Wachsein gewöhnen würde. Es klappte beinahe. Als ich die Publikumsgeräusche hörte, sprang ich aus dem Bett und zögerte einen Augenblick. Aber was dann geschah, war natürlich, dass ich den Ton völlig wegdrehte, den Kaffee keines Blickes würdigte und in die kuscheligwarme Hülle meines Federbettes zurückkroch. Gegen halb elf kam ich dann so langsam zu mir, döste noch bis zwölf und kam schließlich in einem Anfall tiefer Selbstverachtung schwankend auf die Beine. Ich war damals ein echter Moralist: ich malte mir sogar ein Plakat für meine Wand, auf dem stand: »Edification first, then have some fun.« Das war insofern hip, als es ein Songtext der Hardcore-Punkband Bad Brains war, aber die Botschaft – ich denke, da wirst du mir zustimmen – ist trist. Heute mache ich es genau anders herum.
    Erst viele Jahre später kam ich dahinter, dass ich nicht allein war mit meiner Trägheit und den widerstreitenden Empfindungen von Freude und schlechtem Gewissen, die sie begleiten. Es gibt eine reiche Literatur zu diesem Thema. Und im Allgemeinen stammt sie von den besten, ulkigsten und vergnüglichsten Autoren. Der viktorianische Humorist Jerome K. Jerome veröffentlichte 1889 einen Essay mit dem Titel »On Being Idle«. Du kannst dir vorstellen, wie viel besser ich mich fühlte, als ich die folgende Passage las, in der Jerome über die Freuden des Dösens nachdenkt:
    Ach, wie köstlich ist es, sich noch
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