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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes
Autoren: Friedrich Ani
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zählen wollen. Doch wie soll das gehen? Ich müsste dir eine Nachricht zukommen lassen, unbemerkt von der Welt, so wie damals, als wir unsere Briefe in dem morschen Brückenpfeiler versteckten, wo jeder von uns sie dann ungesehen abgeholt hat. Ich habe nachgeschaut, ich kenne deine Adresse. Nein. Vielleicht wirst du diesen Bericht nie bekommen, vielleicht überfordere ich dich damit. Wozu solltest du das alles wissen? Es sind nur Alltäglichkeiten aus dem Leben eines alltäglichen Menschen, vielleicht mache ich mich nur wichtig damit .
    Heute ist Heiligabend. Heute rufe ich nicht mehr bei dir an. Anrufen ist wahrscheinlich die beste Möglichkeit, einmal wirst du drangehen und nicht die Maria, dann höre ich deine Stimme. Erinnerst du dich an das kleine Gedicht aus dem Märchen? Ich kanns immer noch auswendig, Emmi fand es blöde, sie hat mich immer nachgeäfft, wenn ich es aufgesagt habe.
     
    » Ich denke dein in mancher Stund’, du süßes Kind, du Liebling mein!
    Ich hob geküsst dir deinen Mund, die Stirne , Wangen rot und fein! Dein erstes Wort … «
     
    »… vernahm mein Ohr!«, sagte Emmi Bregenz leise, und ihre Augen waren groß und schwarz.
     
    »Doch musst ich fort, vergiss mein nicht! Gott segne dich, den ich verlor …«
    » … Du Engel aus des Herren Licht! «
    »… Du Engel aus des Herren Licht!«
    Sie drückte fest meine Hand. »So hat sie ihn immer genannt, die Ruth.«
    »Wie hat sie wen genannt?«, sagte ich .
    »Den Schmarrn-Beni«, sagte Emmi Bregenz und schmunzelte. »›Engel‹ hat sie ihn genannt. Den Gabriel.« Sie ließ meine Hand los, senkte den Kopf und strich übers Gras .
    Sacht und behutsam und lange. Wie über den Kopf eines Kindes, das unruhig schläft.
     
    »Stimmt das?«, sagte der Barmann, der neu im Hotel war .
    »Du warst früher bei der Kripo?«
    »Ja«, sagte ich .
    »Mordkommission?«
    »Ich habe Vermisste gesucht.«
    »Und gefunden?«
    »Meistens«, sagte ich.
    »Und dann habt ihr sie in die Unfreiheit zurückgebracht«, sagte der Barmann.
    Ich schwieg. Manchmal, nachts in der Stille, blättere ich in den Aufzeichnungen der alltäglichen Frau mit dem Märchennamen. Die Blätter habe ich von Gabriel Seberg erhalten, der mich in jenem Mai angerufen und mir mitgeteilt hatte, er habe auf einem ausrangierten Konica-Kopierer, den er früher in seinem Geschäft benutzt habe und seither als sinnloses Andenken im Keller aufbewahre, Ruths Bericht für mich kopiert. Seine Frau dürfe davon nichts erfahren. »Und Sie müssen mir versprechen, dass Sie die Aufzeichnungen niemanden, vor allem nicht Emmi Bregenz, lesen lassen.« Ich fragte ihn, warum er sie dann mir gebe, und er sagte: »Es ist mir leichter so, Ruth wollt die Bürde loswerden, jetzt muss ich sie tragen, und ich bin krank. Meine Frau denkt, ich werd wieder, und ich lass ihr den Glauben. In der ›Pension Ida‹ im Westend hab ich zu Ruth gesagt, dass ich dieses Jahr nicht überleben werd, aber sie hat geantwortet, ich soll mich bloß nicht vor der goldenen Hochzeit drücken. Ich hab mich noch nie vor was gedrückt. Aber wenns zum Ende geht, gehts zum Ende, und da soll man nicht schon vorher die Augen zumachen. Es wär mir wirklich leichter, wenn Sie die Kopie nehmen würden, sieht sehr ordentlich aus, gut lesbar, die Geräte halten einfach was aus, mit denen machen Sie fünftausend Kopien, und eine ist so sauber wie die andere.«
    Der Barmann beugte sich über den Tresen. »Geht noch eins?«
    »Unbedingt.«
    Als er das frische Bierglas auf den Deckel stellte, sagte er:
    »Und du? Bist du auch so ein Abgetauchter? Einer, dens für die eigenen Leute nicht mehr gibt?«
    Ich schwieg. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete auf meine Antwort. Dann gab er es auf .
    Und Martin, der manchmal neben mir sitzt, nachts in der Stille, zog an seiner Salemohne und sagte: Alter Schweigser!

Buch
    E ine dreiundsiebzigjährige Frau ist spurlos verschwunden. Nachdem ein Foto der Vermissten in den Zeitungen veröffentlicht wurde, meldet sich ihre Schwester und macht eine Aussage, die Kommissar Tabor Südens Fahndung in eine völlig neue Richtung lenkt: Sie hat die Vermisste seit Kriegsende für tot gehalten …

Autor

     
    F riedrich Ani, 1959 in Kochel am See geboren, lebt als Schriftsteller in München. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Deutschen Krimipreis 2002 für den ersten Band der Tabor-Süden-Reihe und den Deutschen Krimipreis 2003 für die nachfolgenden drei Bände.
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