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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes
Autoren: Friedrich Ani
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heilig versprochen. Der Bericht ist nur für dich.«
    »Und für dich«, sagte er und hustete wieder, und sie strich ihm über den Rücken.
    »Nein, für mich nicht«, sagte sie. »Sie hat ihr Leben für dich aufgeschrieben. Du warst ihre Liebe.«
    »Hör doch auf«, sagte er.
    »Ich hör nicht auf«, sagte sie. »So ein Andenken muss man ehren, so was bekommt man nur einmal geschenkt .
    Das ist was ganz Kostbares, da steht ein ganzes Leben drin, ein schweres Leben, das Leben von einem Menschen, der eine Last getragen hat, in sich. Und du hast es versprochen! Du hast es versprochen!«
    »Beruhig dich, bitte«, sagte er.
    »Schauen Sie, Herr Kommissar, mein Mann ist krank, er muss wieder ins Klinikum. Das dritte Mal jetzt. Aber im Kopf stimmt noch alles. Und er hat ein Versprechen gegeben …«
    »Der Kommissar will mir die Mappe doch nicht wegnehmen, Maria«, sagte er und schluckte und musste würgen . »Er hat doch bloß gefragt …«
    »Und ich sag Nein! Weil du dich nicht traust.«
    »Ich trau mich doch«, sagte er.
    »Du traust dich nicht, weil du Angst hast, dass du dann belangt wirst. Wegen Unterschlagung oder so was. Wegen Amtsbehinderung oder was.«
    »Das ist doch ein Unsinn, Maria«, sagte er .
    »Die Ruth ist tot, Gabriel! Hast du das noch nicht begriffen? Sie wollt dich noch mal sehen, sie hat gewusst, dass sie wird sterben müssen. Sie ist tot, und du hast ihr Testament, du und der Anwalt. Du warst ihr nächster Mensch, ihr ganzes Leben lang, obwohl ihr euch nie getroffen habt und obwohl du mit mir verheiratet bist seit bald fünfzig Jahren. Sie hat dich behalten, bei sich allein im Stillen in Ismaning, so nah und so weit weg.«
    »Und ich hab eine Tochter von einer anderen Frau, das auch noch«, sagte Seberg, und ich sah ganz sicher ein Lächeln.
    »Du bist schon ein Besonderling, du«, sagte Maria Seberg .
    »Was bin ich?«, sagte er.
    »Ein Besonderling bist du.« Sie rieb ihm über den Rücken .
    Und er hustete. Und dann nahm er das Taschentuch vom Mund und sah mich an.
    »Ich hab geheiratet, weil ich die Maria geliebt hab, und der Max wollt die Emmi, und so ist alles gut gegangen. Und die Ruth, die war doch erst elf oder zwölf, als wir auf die gleiche Schule gingen, und ich war ein Jahr jünger . Das glaubt man doch gar nicht, dass ein junger Mensch so eine Liebe in sich herstellt, dass die das ganze Leben lang nicht kaputtgeht. Wissen Sie, warum die Ruth ausgerechnet in die ›Pension Ida‹ wollt? Weil, sie hat das Schild gesehen und an ein Märchen denken müssen. Sie hat immer an Märchen gedacht, schon als Kind, rauf und runter die Geschichten von den Prinzessinnen und den Helden und den verzauberten Königinnen und den armen Kindern. Mit denen allen hat sie mitgelebt, inniglich. Hat sie mir erzählt. Und es gibt ein Märchen, das heißt ›Die Blumen der kleinen Ida‹. Deswegen hat sie auch Vergissmeinnicht in die Pension mitgebracht, hat den Topf da hingestellt, damit was blüht in dem Zimmer .
    Wir haben uns ja nicht hingelegt und geschlafen, sie hat nur gesprochen, Stunde um Stunde, die ganze Nacht, und hat mir alles erzählt, alles, was in dem Bericht steht. Sie wollt es mir selber erzählen. Sie hat zwei Thermoskannen mit Tee dabei gehabt und belegte Brote und Tomaten und zwei Bananen und vier Äpfel, die ganze Tasche voll.«
    »Sei still!«, sagte Maria Seberg.
    »Ich kenn mich nicht aus mit Märchen, ich hab vor lauter Arbeit wenig Zeit gehabt zum Lesen.«
    »Sei still!«, sagte Maria Seberg laut, und ihr Mann legte mühevoll den Arm um ihre Schulter. Aber sie wollte sich nicht anlehnen.
    »Ich werde jetzt gehen«, sagte ich .
    »Wollen Sie keinen Blick mehr in den Bericht von de Ruth werfen?«, sagte Seberg .
    »Nein«, sagte ich.
    »Möchten Sie noch einen Selbstgebrannten?«, sagte Seberg .
    »Nein.«
    Draußen lehnte ich mich, vom Regen geohrfeigt, an die Hauswand, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Jenseits der Welt, vielleicht, gab es einen, der sich niemals schämte.

14
    W as der Angestellte der Städtischen Friedhofsverwaltung wörtlich zu mir gesagt hatte, verschwieg ich ihr. Ich teilte ihr nur mit, dass die Beisetzung bald, vermutlich Ende übernächster Woche, stattfinden würde .
    »Mordsglück!«, hatte der Angestellte mir erklärt. »Normal lagern die Urnen drei bis vier Monate, weil, öfter fahren wir nicht da raus. Aber jetzt in Ihrem Fall, also in dem Fall der verstorbenen Frau, das ist günstig, die Urne dürft auf jeden Fall noch mitgehen.«
    »Wie
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