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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes
Autoren: Friedrich Ani
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einem Nest geformten Resthaare schimmerten ein wenig und klebten ihm nicht nur schweißig am Kopf .
    Dann schwiegen wir.
    Unser Schweigen wurde von Ralph McTell gestört, dessen »London-Song« wir schon in unserer Jugend Ohrkrebs fördernd fanden. Zum Glück landete er danach keinen Hit mehr.
    Von draußen hörten wir das Prasseln des Regens, der, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, seit drei Tagen anhielt.
    »Glaubst du, die Türkei-Sache bringt was?«, sagte Martin, die Hände um das Glas geklammert, als wolle er sich daran wärmen.
    Nach der Einschätzung des Staatsanwalts führten die Beobachtungen des Zeugen zu keiner neuen Spur. Zwar behauptete der Mann, die achtjährige Magdalena auf dem Markt einer türkischen Kleinstadt wiedererkannt zu haben, doch die Begegnung lag zwei Monate zurück. In den Befragungen durch die Kollegen der Sonderkommission machte der Ingenieur anscheinend widersprüchliche und ungenaue Aussagen, die das laufende Gerichtsverfahren nicht ins Wanken brachten. Vor einem Jahr war das Mädchen auf dem Heimweg von der Schule spurlos verschwunden, niemand im Dorf hatte etwas bemerkt, und die Kollegen, die vor Ort fahndeten, gerieten zunehmend unter Druck. Die Presse nahm den Leiter der Soko Magdalena ins Visier, und nach acht Monaten wurde er von unserer obersten Dienststelle, dem Innenministerium, abberufen. Seinem Nachfolger gelang wenig später die Festnahme eines Mannes, der auch vorher schon unter Verdacht geraten war, allerdings ohne ausreichende Beweise. Mit einem Mal legte er ein Geständnis ab. Er erklärte, er habe dem Mädchen aufgelauert und es anschließend in einen Wald entführt und missbraucht. Umgebracht habe er Magdalena jedoch nicht, er wisse nicht, wo sie nach der Vergewaltigung hingelaufen sei. Die Widersprüche in seinen Aussagen häuften sich, und im Wald wurden neue Spuren gefunden, worauf der Staatsanwalt Anklage wegen Vergewaltigung und Mordes erhob. Der geistig zurückgebliebene junge Mann hielt an seiner ursprünglichen Aussage immer noch fest. Ob die Indizien für eine Verurteilung reichen würden, war nach wie vor ungewiss.
    »Der Zeuge will das Mädchen eine Minute lang gesehen haben«, sagte ich. »Gleichzeitig hat er erklärt, sie sei an der Hand einer Türkin an ihm vorbeigegangen.«
    »Eine Minute lang?«, sagte Martin.
    Ich schwieg.
    Für eine Vermissung wie die der achtjährigen Magdalena nicht zuständig zu sein, versetzte uns in einen Zustand von beinahe ärgerlicher Rastlosigkeit, weil wir uns einbildeten, aus dem Umfeld des Opfers ganz andere Dinge herausschälen zu können als unsere Kollegen, geheime Dinge, nur uns zugängliche Dinge .
    Und dabei scheiterten wir oft genug an unseren eigenen Fällen, aus Blindheit, aus Sturheit. Und wir benötigten meist eine lange Zeit, um die entscheidende Tür zu öffnen oder diese in einem lichtlosen Haus überhaupt erst zu entdecken.
    Es war ein lindgrün gestrichenes Haus, an dessen Tür wir am nächsten Tag, an dem wir eigentlich dienstfrei hatten, klingelten. Und es sollte fünf Wochen dauern, bis sich jene Tür vor unseren Augen auftat, hinter der uns die wahre Wirklichkeit in Empfang nahm.
     
    Er ging voraus, knipste das Licht an und hielt plötzlich inne.
    »Babett?«, sagte er mit leiser, knarzender Stimme und mit nach vorn gebeugtem Oberkörper. Der Schulterteil seines grauen Anoraks war vom Regen durchnässt .
    Im Flur hingen an einer schmiedeeisernen Garderobe zwei dunkle Wintermäntel, eine apricotfarbene Strickjacke, verpackt in Reinigungsfolie mit einem gelben Preisschild, und eine ausgebleichte hellblaue Jeansjacke .
    »Bist du da, Babett?«
    Konstantin Gabelsberger erhielt keine Antwort.
    »Ist nur der Regen«, sagte er enttäuscht .
    »Wann waren Sie zum letzten Mal hier?«, fragte Martin .
    »Das weiß ich genau«, sagte Gabelsberger. »Vor genau einem Monat. Am ersten Samstag im März.«
    »Sie treffen sich immer am ersten Samstag im Monat«, sagte ich.
    »Immer.« Er stand im Wohnzimmer und betrachtete die Möbel, den Glasschrank mit den fernöstlich anmutenden Tellern und Tassen, den Sechspersonentisch aus rötlichem Holz, die dunkle Couch, die in hellem Holz gehaltenen Regale voller Bücher, Puppen und Zinnfiguren .
    Die Wohnung sah aufgeräumt und sauber aus. Auf den ersten Blick war es unmöglich abzuschätzen, wann sich jemand zum letzten Mal in den niedrigen Räumen aufgehalten hatte. Es lagen keine Zeitungen herum, ein paar Illustrierte stapelten sich auf dem runden Glastisch neben der
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