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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes
Autoren: Friedrich Ani
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Dezernat anrief und mitteilte, ihr Mann sei soeben aufgetaucht. Allem Anschein nach gehe es ihm nicht schlechter als vorher, die Nacht habe er auf einem Sofa in einer Garage verbracht. Warum er das getan habe, könne er nicht sagen. In meiner Gegenwart schlief er dann ein, und ich fand, er machte einen völlig erschöpften und zugleich eigenartig gelösten Eindruck .
    Wir schickten einen Widerruf ans Landeskriminalamt, wo mein Kollege Wieland Korn die Daten sämtlicher Vermisster in Bayern koordinierte, und schlossen die Akte .
    Noch bevor unsere Recherchen in Ismaning begannen, hatte ich sie vergessen.
     
    Anscheinend motivierte sie unser Besuch dazu, ihre Fingerfertigkeit zu vervollkommnen. Während Martin ihr gegenüber saß und Fragen stellte, tippte sie mit ungeheurer Geschwindigkeit weiter und hielt den Blick immer nur für Sekunden gesenkt, als wolle sie auf keinen Fall unhöflich erscheinen. Um den Kopf hatte sie ein blaues Frotteehandtuch gewickelt, mit gekreuzten Beinen hockte sie auf dem weißen Sofa, und wenn sie nachdachte, schürzte sie die Lippen wie ein kleines Kind .
    Verona Nickel war fünfzehn und schlank, eigentlich dünn. Sie trug hellblaue Röhrenjeans und darüber ein pinkfarbenes T-Shirt, auf dem in schwarzen Buchstaben »PINK« stand. Sie war barfuß und hatte ihre Zehennägel im selben Hellrot lackiert wie ihre Fingernägel, die auf den Tasten ihres Handys ein unaufhörliches Klacken veranstalteten, das in meinen Ohren dem gleichmäßigen Prasseln des Regens wie ein Echo hinterherhinkte.
    Ich stand beim Fenster, die Hände hinter dem Rücken, bemüht, meine Ungeduld zu zügeln. Was Verona auf die Fragen von Martin Heuer antwortete, empfand ich teilweise als belanglos, teilweise als kindische Spielerei, die sie vermutlich nicht einmal bemerkte .
    »Ich hab nur eingekauft für sie«, sagte das Mädchen .
    »Hintergründe kenn ich nicht.« Sie tippte in ihr Handy, sah kurz auf, als lese sie von Martins Lippen ab und übermittele die Botschaft sofort an ihre Freundin. Einen männlichen Empfänger schloss ich aus .
    »Hintergründe kennst du nicht«, wiederholte Martin. Er saß auf einem blau lackierten Holzstuhl, den er vom Tisch weggerückt hatte, und hielt einen DIN-A4-Block auf den Knien.
    »Sie ist öfter mal untergetaucht«, sagte Verona und unterbrach ihre sphärische Korrespondenz, bis Martin wieder das Wort ergriff.
    »Davon wissen wir nichts. Was bedeutet: untergetaucht? Musste sie in den Untergrund gehen?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Verona allen Ernstes und warf mir einen schnellen Blick zu, bevor sie Martins Frage fingerflink weiterleitete.
    »Wurde sie verfolgt?« Martin verzog keine Miene, sein Blick ruhte wie die Tatze eines schlafenden Grizzlys auf der Schülerin.
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Du hältst es aber für möglich.«
    »Ich mag die alte Dame, ich möcht ihr auf keinen Fall etwas anhängen.«
    Vielleicht langweilte sie sich nur, vielleicht verbrachte ihre beste Freundin das Wochenende in einer aufregenden Stadt, während sie aus Ismaning nicht herauskam .
    Ihr Vater, den sie Daddy nannte, »musste an total zukunftswichtigen Sitzungen teilnehmen«, wie sie uns erklärt hatte. Er arbeitete als Programmleiter bei einem Privatsender. Und ihre Mutter, eine ebenfalls beim Fernsehen tätige Dramaturgin, quäle sich in ihrem Büro mit dem Umschreiben des Drehbuchs einer Autorin, die »totales Psychozeug« abgeliefert habe, was »für die Serie total daneben« sei. Um welche Serie es sich handelte, sagte Verona nicht, wahrscheinlich ging sie davon aus, dass wir Bescheid wussten. Als ich sie bat, mir die Telefonnummer des Büros ihrer Mutter zu geben, meinte sie, ihre Mum dürfe unter keinen Umständen gestört werden, beim Schreiben brauche sie »das totale Alleinsein«. Allerdings komme sie manchmal hoch, um sich eine frische Kanne grünen Tees zu holen. Erst jetzt begriff ich, dass sich Carolin Nickel im Keller des Einfamilienhauses an der Wasserturmstraße aufhielt. Falls uns die Befragung der Tochter nicht weiterbringen würde, nahm ich mir vor, ihre Mutter zu stören, mich aber sofort total dafür zu entschuldigen.
    »Wenn du möchtest, behandeln wir deine Aussagen vertraulich, niemand muss was erfahren«, sagte Martin geduldig. Manchmal bewunderte ich ihn für seine wohl dosierte Gleichgültigkeit gegenüber Menschen, die glaubten, wir würden nicht merken, wenn sie uns mit ihren Aussagen nur Zeit stahlen, die sie später im Freundeskreis als leichte
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