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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes
Autoren: Friedrich Ani
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Couch. Auf dem schmalen Bett im Schlafzimmer lag ordentlich ausgebreitet eine rosafarbene Seidendecke, und über einem Sessel im gleichen Farbton hing ein schwarzes Kleid. Im Bad glänzten die Chromteile, das Regal über dem Waschbecken und ein weiß bemaltes Schränkchen mit fünf Ablageflächen waren voller Cremedöschen, Flakons, Tablettenschachteln, kleinen Spiegeln und Bürsten, Seifenschälchen und Waschutensilien .
    Es schien nichts zu fehlen, nichts deutete auf eine längere Abwesenheit der Bewohnerin hin .
    »Es ist alles so, wie Sie es kennen«, sagte ich .
    »Mir fällt nichts auf«, sagte Gabelsberger, der zunehmend fassungsloser wirkte.
    Gestern, während Martin und ich einen Ausweg aus dem »Augustinerstüberl« gesucht hatten, benutzte Konstantin Gabelsberger seinen Schlüssel für das Haus Am Englischen Garten 1 im Münchner Vorort Ismaning. Zuvor hatte er mehrmals geklingelt und geklopft und durch die Fenster gespäht, deren grüne Läden nicht geschlossen waren. Als er im Innern niemanden vorfand, begann er, sich zu sorgen. Eine Stunde später verständigte er unsere Kollegen auf dem örtlichen Revier. Wie sich herausstellte, verreiste die dreiundsiebzigjährige Babette Halmar mehrmals im Jahr spontan, entweder an die Nordsee, wo sie stundenlang am Watt spazieren ging, oder nach Thüringen, wo sie immer dieselben Altstädte besuchte, speziell in Erfurt und Weimar. Und meist sagte sie vorher niemandem Bescheid. Nicht einmal ihrem engsten Vertrauten, dem ehemaligen Hausmeister Gabelsberger, der nicht weit von dem grünen Haus entfernt in einem achtstöckigen Mietshaus wohnte, dessen Fassade merkwürdigerweise in einem ähnlichen Rosa gehalten war wie jenes, das wir in den Zimmern der alten Dame vorfanden .
    Unsere Kollegen hatten Gabelsberger erklärt, für eine Vermisstenanzeige sei es zu früh, und er solle am nächsten Morgen erst einmal in aller Ruhe in den Pensionen anrufen, in denen Babette Halmar gewöhnlich übernachtete. Was hätten die Kollegen tun sollen? Es gab keine Anhaltspunkte für eine Straftat oder einen Unglücksfall .
    Nur die Frage, ob die Frau Suizidabsichten habe, versetzte Gabelsberger, wie mir die Kollegen mitteilten, in Unruhe. Sie hatten den Eindruck, als habe er, vielleicht sogar aufgrund von Andeutungen der Frau, an diese Möglichkeit schon gedacht, das Thema aber verdrängt .
    Doch er blieb bei seiner Behauptung, für einen Selbstmord sei Frau Halmar viel zu lebensfroh, zudem besitze sie eine stabile Gesundheit und habe – und das wollten ihm meine Kollegen nicht recht glauben – niemals irgendeine Bemerkung in dieser Richtung fallen lassen .
    In derselben Nacht wählte Gabelsberger sämtliche Telefonnummern außerhalb Ismanings, die ihm Babette Halmar je gegeben hatte, und jeder Ansprechpartner versicherte ihm – wie er uns heute Vormittag erklärte –, dass Frau Halmar weder zu Gast sei noch ihr Kommen angekündigt habe.
    Am Samstagmorgen um acht Uhr, nach einer schlaflosen Nacht, in der er nochmals zum Haus gegangen war, ohne es allerdings zu betreten, rief er im Dezernat 11 in der Münchner Bayerstraße an und ließ sich mit meiner Dienststelle verbinden, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Da wegen zwei aktueller, aufwändiger Vermissungen, in die mehrere Kinder und ein rumänisches Ehepaar verwickelt waren, sämtliche Kollegen seit sieben Uhr unterwegs waren, rief mich mein Vorgesetzter Volker Thon zu Hause an, und ich informierte daraufhin Martin Heuer. Als wir ins Büro kamen, wartete Konstantin Gabelsberger schon auf uns.
    »Und Sie haben sie seit einem Monat nicht gesehen«, sagte ich.
    Gabelsberger schüttelte den Kopf, den er nur noch gesenkt hielt.
    Wir standen zu dritt in der Küche, in der es nach abgestandener Luft roch. Ich öffnete den Kühlschrank. Darin befanden sich verschiedenfarbige Tupperware-Behälter, Schinken und Wurstaufschnitt, der nicht mehr frisch aussah, zwei Flaschen Mineralwasser, eine noch verkorkte Flasche Sekt und eine ungeöffnete Milchtüte, deren Verfallsdatum abgelaufen war .
    »Sie hat nie viel im Haus«, sagte Gabelsberger .
    »Frau Halmar hat keine Verwandten«, sagte ich.
    »Nein.«
    »Und Sie sind ihr bester Freund.«
    Er nickte wieder mit gesenktem Kopf .
    »Wie alt sind Sie, Herr Gabelsberger?«
    »Neunundsechzig.«
    »Wo und wann haben Sie Frau Halmar kennen gelernt?«
    Er hob den Kopf und blinzelte. Er versuchte, seine Tränen zu verstecken. Seine Wangen waren gerötet, er atmete schwer, was vielleicht an seinem
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