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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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kommt nicht mehr, da leider letztes Jahr lungenbläschen-versaut verschieden), aber Guy, der Tagelöhner, kommt sowie Monsieur Georges, der Kreuzworträtsel-Freak, Patrick, die zahnlose Schnapsdrossel, Marlene, das vulgäre Weib, Fahrid, der einsame Berber. Und natürlich Eveline, »la réveuse«, die Träumerin. Mit einem Wimpernzucken verlässt sie die Welt und landet mitten auf einem anderen Stern.
    Wir alle verdanken die Oase einem Heldenpaar, Bernadette und Robert. Sie die Chefin, er der Chef, ewig verheiratet, ewig befreundet, zwei Perpetuum mobile. Um halb acht machen sie auf, um 22 Uhr machen sie dicht, servieren dazwischen dreihundert Tassen Kaffee und durchgehend warme Küche. Und fallen nie um. Dürfen nicht umfallen. Denn das ist der Deal, er wurde vor langer Zeit stillschweigend geschlossen: Das Café ist nur Fassade, wer hier eintritt, betritt einen Beichtstuhl. Die Theke dient als Klagemauer und dahinter stehen die beiden Bosse, sie Beichtmutter, er Beichtvater. Und lauschen. Manche Gäste müssen so viel loswerden, dass sogar die zwei heiser werden. Heiser vom vielen Zuhören.
    Wie zu erwarten, gestehen die Pariserinnen großzügiger. Auch in meinem Café. Meist handelt es sich, unüberhörbar, um Liebesgeschichten, sprich Trauermärchen, in denen wenig Liebe passierte und in denen wir, die Pariser – wer sonst? – als Sündenböcke auftreten. Wir Böcke und Liebesscheuen. Weil wir die Herzlosen sind, sagen die Pariserinnen, eben die Mutlosen, die von der (beharrlichen) Liebe nichts wissen wollen.
    Wie dem auch sei, nach 18 Uhr verschwindet die Klagemauer, die Bude wird voll, die Arbeit ist vorbei und hier ist der rechte Platz, um die Ankunft im mürben Familienleben um eine Stunde Sorglosigkeit hinauszuzögern. Die Alten diskutieren, die Jungen auch. Ein paar hören mittendrin auf und küssen sich. Und Monique ist eingetroffen und weckt ihre Freundin Eveline. Die tatsächlich zur Welt zurückkehrt. Lärmig wird es, lebendig, vielsprachig. Jetzt swingt Glücksluft über unseren Köpfen. Ach Paris, ach du, ach, du Einzige.

BERUF REPORTER

    LÜGEN MUSS SEIN
    Nennt mich jemand einen »Reiseschriftsteller«, will ich rausrennen und losheulen. Fällt diese Berufsbezeichnung, dann sehe ich immer einen Wichtigen, einen Pompösen. Einen, der von weit weg zuschaut und anschließend seinen reservierten Mittagstisch im feinen Speisewagen aufsucht. Hier genießt unser Mann die »herrliche Landschaft«, lobpreist das »grandiose Menü« und entwirft erste Aufzeichnungen für das nächste Buch. Der Titel steht schon: »Abenteuer Zug«.
    Ich will es mit den weniger Pompösen halten, ich bin nur Schreiber, der nebenbei reist. Das ist einer, der näher kommt und bisweilen auf sein Mittagessen verzichten muss. Um das Gesehene – im Schweinsgalopp – vor jenen in Sicherheit zu bringen, die nicht wollen, dass sie gesehen werden.
    Reiseschriftsteller sind rund, reisende Schreiber eher mager und schlaflos. Die Neugierigsten unter ihnen machen es wie Gandhi, der auf die Frage, warum er die dritte Klasse benutze, antwortete: »Weil es eine vierte nicht gibt.« Der Alte wusste, wo die besseren Storys zu finden sind.
    So ist es. Denn vor den Mühen des Schreibens liegen die Mühen der »Stoffsammlung«, eben genug Stoff, genug Leben zu sammeln, das wert ist, veröffentlicht zu werden, sprich »bemerkenswert«. Erstes Gebot: Nie »offiziell« auftreten, stets die Neugier vertuschen. Ein Wichtigtuer mit großem Block und großem Griffel, dabei mit Tonband und imposanter Kamera hantierend – lieber nicht.
    Ich habe Glück, ich bin kindisch, will spielen. Noch immer. Ich lüge gern, erfinde mir dreimal am Tag eine neue Identität. Lügen muss sein, mehr denn je bin ich überzeugt, dass die Wirklichkeit – um das bombastische Wort »Wahrheit« zu vermeiden – Angst hat, ja, sich versteckt, wohl ahnt, was sie anrichten würde, käme sie ans Tageslicht.
    Als ich in der »tribal area«, dem Gebiet zwischen Pakistan und Afghanistan, über den Heroinhandel recherchierte, tat ich das natürlich nicht mit gestempeltem Ausweis und »Presse«-Sticker auf dem Hemd. Ich tat es als »skandinavischer Drogenhändler«, der sich – im Kofferraum versteckt – von zwei (bezahlten) Halunken einschmuggeln ließ. Um an Ort und Stelle mit anderen Grossisten über eine Lieferung nach Kopenhagen zu verhandeln. Bis auf die Unterhose musste ich mich vorher ausziehen, um zu beweisen, dass ich kein Gerät bei mir trug, nichts, was einen Nachweis
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