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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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des Treffens ermöglicht hätte.
    Ein anderer Auftrag hieß, über afrikanische Flüchtlinge zu berichten, die von der marokkanischen Mittelmeerküste aus versuchten, sich nach Europa abzusetzen. Also nahm ich Kontakt mit den hiesigen Schleppern auf. Um ihnen das Lügenmärchen von mir, dem »Scheckbetrüger«, zu erzählen, der unbemerkt zurück nach Deutschland musste. Wie sonst meine Anwesenheit – eines Weißen, eines Reichen – auf einem Boot zu rechtfertigen, das bettelarme Schwarze über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien beförderte? Nachts, verborgen, ungewiss. Aber Scheckbetrüger klang sauber, zudem musste ich, wie voraussehbar, einen »prix spécial« übergeben. Das reichte, somit landete ich eines Augustmorgens vor Tarifa an, um drei Uhr früh, glitt wie die anderen neun Passagiere ins Wasser und schwamm die letzten vierhundert Meter an Land. Um sechs Stunden später, wieder trocken und jetzt hochoffiziell, als Reporter mit einer »Guardia Civil«-Streife nach den »clandestinos«, den Heimlichen, zu fahnden.
    Stocherte ich vor den Toren Mexiko Citys in qualmenden Müllhalden – fest in lokalen Mafiahänden –, dann stocherte ich als Lumpensammler, der andere Lumpensammler aushorchte. Die Mafia wird mich nicht aufklären. (Die mich dann doch abgeführt hat. Und wieder war Fotograf Rolf Nobel Zeuge.)
    Viele Reise-Situationen sind friedlicher. Aber ich spiele weiter, bin (fast) nie Schreiber, bin schwedischer Filmschauspieler, Philosophie-Professor, Cessna-Pilot in Kenia. Oder Taugenichts, abgebrochener Jurastudent, Streuner, Strawanzer, bin immer das, was den anderen – jenen, den ich verdächtige, eine Geschichte in petto zu haben – am ehesten entspannen könnte. Damit dieser so intime Vorgang seinen Anfang nimmt: Einer erzählt, einer hört zu.
    Von diesem Augenblick an – wenn Stoff und Leben auf meiner Festplatte im Kopf eintreffen – beginnt die zweite Mühe: das Sichern. Klar, auch jetzt soll Diskretion herrschen. Der Anblick eines Schreibenden hat eine seltsam irritierende Wirkung auf den, dessen Vertraulichkeiten notiert werden. Der Vorgang beunruhigt, riecht nach Polizei, nach Stunk und Konsequenzen.
    So spiele ich die Hure, beschwichtige, erreiche endlich den Zustand, in dem der andere mich, den Wissbegierigen, vergisst und loslegt. Obwohl ich, äußerst diskret, ein paar Stichpunkte kritzle. Dennoch, bisweilen hilft kein Abwiegeln und Besänftigen, bisweilen verstopft schon das Herausziehen von Stift und Papier jede Informationsquelle. Und die Quelle wird scheu, mag unter solchen Umständen nicht weiterreden. Oder, auch das passiert, entwickelt sich zum Großmaul, will den Ruhm und dramatisiert das Geschehen, sensationalisiert es, inszeniert sich plötzlich als Held in einer Heldengeschichte.
    Um all diesen Fallen auszuweichen, wäre ein muskulöses Gedächtnis von Nutzen. Um hinhören zu können und den Text des Fremden nicht mitschreiben zu müssen. Einzig virtuell mitzuschreiben, ungesehen und geräuschlos, verschlossen hinter der Stirn. Die Kunst der Eselsbrücke scheint ebenfalls hilfreich, um die wichtigsten Punkte zu behalten. Hat der Schreiber genug (fürs Erste), dann muss er eine lästige Blasenentzündung vortäuschen. Nicht selten habe ich mich in derlei Situationen – vor Jähzornigen, vor Misstrauischen, vor notorischen Verrätern – auf eine Toilette verzogen. Um aus dem linken Stiefel einen Fetzen und einen Stummel zu fischen und hastig ein paar Schlagwörter zu sudeln.
    Doch die Stunde kommt, in der ich ungeniert Schreiber sein darf. In einem Hotelzimmer, im diskreten Eck einer Bar, in der Zelle eines Klosters. Jetzt die Fetzen einsammeln und nach den richtigen Wörtern fahnden. Damit Sprache entsteht. Jeder, der diesen Zustand kennt, wird zustimmen: Schreiben ist das Glück. Noch einmal darf man an den Tatort zurückkehren, erhält ein zweites Leben, ja das Aufschreiben der Vergangenheit – und wäre sie nur zehn Minuten vergangen – kann inniger sein als das Leben zehn Minuten davor. Weil Schreiben den Vorgang verlangsamt – niemand schreibt so schnell wie das Leben –, verlangsamen muss. Und diese Entschleunigung schafft Intensität, lässt tiefer blicken, lässt tiefer und bewusster spüren, denken. Ich schreibe, also war ich. Ich schreibe, also bin ich.

    HUREN UND HIRN
    Vor kurzem stand ein Bericht über Oprah Winfrey in der Zeitung. Der amerikanische Superstar eröffnete in Südafrika eine Mädchenschule, finanziert von ihrer Stiftung. Fünftausend
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