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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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cool: »Gehört einer Freundin von mir, die gerade durch Mexiko reist.« Der Dicke reichte mir den Schlüssel, ich übergab die vereinbarten vierzig Dollar. Das schien ein passabler Deal, Jack war ein Menschenfreund und ich der Mann im Glück. Nun, das ist ein Satz, in dem nicht ein Wort stimmte, aber das wusste ich noch nicht. Im Augenblick stimmte er.
    Ich deponierte mein Gepäck und streunte die nächsten sieben Stunden durch das Viertel. Durch fremde Straßen flanieren und schauen und hören, was es Neues auf der Welt gab, das sind Beschäftigungen, die – so nennen es die Amerikaner – mit »quality time« zu tun haben. Als ich kurz vor vierundzwanzig Uhr zurückkam, war die Schonzeit vorbei. Der Schlüssel passte nicht. Er passte auch nicht nach dem zehnten Versuch. Wo ist Jack? Ich will ihn morden! Genervt von meinem Radau, kam der Hausmeister und klärte mich auf. Am späten Nachmittag war ein Klempner hier vorbeigekommen, um das Schloss auszuwechseln. Warum? Konnte er nicht sagen.
    Die Nacht wurde anstrengend. Ich fand zwei Polizisten, die mich wissen ließen, dass sie ohne Durchsuchungsbefehl keine Tür demolieren durften. Ich hörte einem Kriminalbeamten zu, der versprach sich in drei Wochen um meinen Fall zu kümmern. Ich rannte zurück zum Haus, klingelte den (bereits missmutigen) Pedell heraus und bat ihn, mir die Geschäftsadresse des Wohnungsbesitzers zu geben. In solchen Momenten funkelt immer der böse Blick in meinen Augen. Der half auch diesmal. Ich bekam die Anschrift.
    Ich wanderte los, jetzt ohne Eile, ich hatte die halbe Nacht und zählte mit. Nach siebenundsechzig Blocks stand ich vor der angegebenen Anschrift, eine Versicherungsgesellschaft. Ich war zu früh, ich setzte mich und wartete. Sechs Stunden lang.
    Um neun kam der Besitzer, ich erklärte ihm den Fall, er erklärte mir, dass das Schloss geändert worden war, da der Mieter seit einem Jahr nichts mehr von sich hatte hören lassen. Wir fuhren zum unscheinbaren Mietshaus, die Tür ging auf, ich durfte mein Gepäck schultern und verschwinden. Obwohl ich den Übeltäter nicht preisgegeben hatte. Nicht aus Boy-Scout-Treue, nein, aus Eigennutz. Denn die Nacht sollte ein fulminantes Ende haben.
    Und das hatte sie. Um 10.30 Uhr betrat ich den Zimmernachweis und erzählte Jack mit gedämpfter Stimme die Geschichte von den vierhundert Dollar, die er mir in Kürze übergeben würde. Als Wiedergutmachung für die Zumutungen der letzten zehneinhalb Stunden. Ich erzählte ihm sogar, dass mir etwas Ähnliches bereits vor Jahren in Afrika zugestoßen war. (Sorry, manche – manche wie ich – brauchen eben länger, um die Wirklichkeit zu begreifen.) Jack hörte zu, maulte ein bisschen und hätte mich sicher gern gewürgt. Aber das Helle in ihm siegte. In mir auch, wir einigten uns auf einen Kompromiss, auf zweihundert Dollar. Mein Hinweis, dass ich bei Nichtbezahlung seinen Namen an den Hausbesitzer durchgeben müsste, beschleunigte die Übergabe. Jack, der Kluge, gab nach.
    Heiter zog ich von dannen. Ich ahnte plötzlich, wie viel ich dem Dicken verdankte. Den Kies und den Crashkurs in Sachen Cleverness. In dieser Nacht war ich – endlich – das geworden, was die New Yorker »streetsmart« nennen. Das ist einer, der weiß, wie es auf den Straßen dieser Stadt zugeht.

UNTER DEM VULKAN

    ERINNERUNG AN EINEN FRIEDENSFÜRSTEN
    »Keine Größe ohne Größenwahn«, lehrte uns Karl Kraus. Mitten in Bagdad fiel mir der Satz wieder ein. Auch klar, Saddam Hussein hatte weder den Wiener Schriftsteller gelesen noch sich um Größe bemüht. Aber beim Größenwahn wusste er Bescheid. Zehntausend Mal hing er, thronte er, kniete und schwebte er als Pappkamerad durch die Stadt. Entspannt, feist, satt, eiskalt, eiskalt lächelnd, im Brokatsessel, auf dem Gebetsteppich, im Jet-Cockpit, mit Diamantenkrone oder Borsalino, den Koran oder die Flinte schwingend, als Kinderfreund, als Kriegsherr mit Säbel vor kniendem Volk, als einsamer und begnadeter Generalissimo auf weiter Flur, als eleganter Herr im Dunkelblauen von Dior, als Brillenträger, als Sonnenbrillenträger, als Familienvater, als Heros, als Halbgott, als Gott, als Stellvertreter Allahs auf Erden.
    Zu den zehntausend Postern kam das täglich neu ausbrechende Getöse in den Medien. Halleluja, Jubelschreie, Liebesgedichte, Ruhmgesänge, jeden Morgen des »Führers« Konterfei auf den Titeln der Zeitungen, alle Hofberichterstatter vereint im vierundzwanzigstündigen Freudentaumel ob seiner Existenz. Die
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