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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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Wallfahrer. Aber keine Bluthunde, sie ließen sich tatsächlich beschwichtigen, als ich das Hohelied auf Saddam Hussein al-Takriti anstimmte, auf den »Erben Saladins«, den »König von Babylon«, den »Befreier des Volkes«. Iraker mögen Deutsche, ich durfte verduften.
    Vierter Auftritt. Ich nahm ein Taxi, gab dem Fahrer Extrascheine, damit ich unbehelligt vom Fonds aus Bilder machen konnte. An einer Kreuzung stürmte jemand auf uns zu, zückte einen Ausweis, stieg ohne zu fragen ein. Auch er ohne Uniform, auch er unauffällig gekleidet, auch er dem Staatsapparat zu Diensten. Er ließ nicht mit sich verhandeln: »Hand over the film!« Ich redete ihm von der Schönheit der Stadt, den Erinnerungen, die ich mit nach Hause nehmen wollte. Vergeblich. »Hand over the film!« Aber inzwischen hatte ich Zeit gewonnen, der Spürhund saß auf dem Beifahrersitz, ich hinten. So war Gelegenheit, eine unbelichtete Rolle aus der Seitentasche der Jacke zu ziehen. Die streckte ich ihm entgegen. Und er nahm sie. Möglicherweise bezeichnete er sich im Kaffeehaus als »Geheimagenten«, aber ein 007 würde nicht aus ihm werden. Das Hirn fehlte. Er stieg aus. Mit meiner (falschen) Visitenkarte und dem nutzlosen Material.
    Vorletzte Szene, auch sie zeugte von den Wunden, die das »befreite Volk« seit Jahrzehnten mit sich herumtrug, von einem Krieg in den nächsten drangsaliert. In einer Seitengasse der Rasheed Street rüttelten etwa fünfzig meist ältere Frauen an einem gewaltigen Eisentor. Sie zeterten und beschimpften die beiden Wachtposten. Es ging ums Überleben, es ging um eine Stange Zigaretten. Die blau verpackten, begehrten Sumer . Hinter dem Portal befand sich ein Staatsbetrieb, in dem jeder zehn Päckchen erwerben konnte. Aber heute verzögerte sich die Lieferung. Die kreischenden Irakerinnen probten nicht als Kettenraucher den Aufstand, sondern als ambulante Straßenhändler. Die zweihundert Zigaretten waren ihr täglicher Lebensunterhalt.
    Im Land des »Babylonischen Löwens« war so vieles erlogen, erstunken, erkauft und erheuchelt. Verlass war nur auf die Toten, die Gefolterten und Verstümmelten, sie waren echt. Auf den Stufen eines kleinen Hauses traf ich einen Lastwagenfahrer, Ex-Lastwagenfahrer. Hafiz rauchte eine Wasserpfeife. Sie stand links von ihm, rechts lehnten die Krücken. Die Sonne strahlte auf sein Gesicht. An jedem seiner Füße fehlte die Hälfte, mehr als die Hälfte. Nur die Fersen waren geblieben. Maßarbeit. Erinnerung an den vorletzten Krieg. Auf unbeschreibliche Art schien der Mensch fröhlich. Ich fragte ihn, wie er zu dieser Heiterkeit käme, diesem Gleichmut. Und Hafiz lachte nur trocken, sagte den einfachen, wundersamen Satz: »Aber ich lebe, Mann, ich lebe.«

    EINER GEGEN DEN UNTERGANG DER WELT
    Sie werden sich töten. Aus dem Verschlag drangen gellende Stimmen. Ich schlich näher, wollte wissen, wer hier wen erledigte. Bis auf zwei Meter kam ich ran. Dann flog die Tür auf und ein Mann streckte seinen schweißglänzenden Kopf heraus, schrie begeistert: »Welcome!«
    Keine Hinrichtungsstätte, nein, eine Frühmesse. Sieben Männer, vier Frauen, drei Kinder und zwei Babys erklärten die Stinkbude – zwei mal drei Meter – zur »Church of God of Prophecy«. Und ihre Hingabe klang leidenschaftlich, verzweifelt, enthusiastisch, ja besinnungslos schienen sie bereit, alles herzugeben, um sich der göttlichen Liebe zu versichern. Eine junge Mutter kreischte gerade ihre Geschichte. In Luo. Ein anderer kreischte hinterher, übersetzte ins Suaheli. Jeder sollte verstehen. Eben die Geschichte von ihrer Schwangerschaft und den unaufhörlichen Blutungen, die kein Doktor stillen konnte. Bis sie endlich von Jesus hörte, auf ihn hörte, und das Wunder geschah. Und Jesus trocknete das Blut und besänftigte die Schmerzen. Das reichte, die Frohe Botschaft fuhr wie ein Flammenwerfer in die Herzen der Anwesenden, sie sprangen auf, feuerten wilde, sinnliche Choräle nach oben, Richtung Jesus, klatschten in ihre nassen Hände, wirbelten die Tambourine.
    Jeder musste erzählen, musste seine Liebe zum »Son of God« bezeugen. Auch ich. Da ich aber nichts wusste von einer solchen Liebe, doch keinen enttäuschen wollte, erzählte ich die Geschichte von meiner Wut, berichtete, dass ich schon vor langer Zeit aus der katholischen Kirche ausgetreten war. Die hochwillkommene Nachricht wurde sogleich mit einem vielstimmigen »yeah, man« begleitet. Als ich als Motiv die Scheinheiligkeit erwähnte, war ich unaufhaltsam einer
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