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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen
Autoren: Gina Meyer
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    Garten- und Landschaftsbau. Früher hatte Cara immer geglaubt, dass das was mit Blumen zu tun hätte. Säen, gießen, düngen, ernten, umtopfen. Und so. Heute wusste sie es besser. Die Arbeit in einer Gärtnerei bestand nur aus Schaufeln und Schleppen. Komposterde, Friedhofserde, Blaukorn, Rasendünger, Torf, Rindenmulch. Man schippte das Zeug in Schubkarren, Eimer, Säcke und bugsierte es von einer Ecke in die andere, hievte es auf die Ladefläche des Lkw und wieder herunter. Vor acht Monaten hatte sie die Ausbildung zur Gärtnerin begonnen. Seit acht Monaten hatte sie ständig Rückenschmerzen.
    »Weil du nicht richtig hebst«, sagte Renzo, ihr Chef. »Du musst in die Knie gehen, der Rücken bleibt gerade.« Renzo hatte leicht reden. Er war fast zwei Meter groß und stark wie ein Bär. Genau wie die anderen Gärtner bei Heinrich Galabau. Renzos Bruder Benno, Kalle, Mirko und Vitali.
    Cara war auch nicht gerade klein und schwächlich. Hatte sie zumindest bislang geglaubt. Aber seit sie in der Gärtnerei arbeitete, fühlte sie sich mickrig und kraftlos.
    »Verdammter Mist«, fluchte sie leise, während sie zum dritten Mal vergeblich versuchte, eine Schubkarre mit Rasensamen aus der Lagerhalle in den Hof zu befördern. Am Ausgang zum Hof gab es eine Schwelle, so niedrig, dass man sie kaum wahrnahm. Aber mit der Schubkarre kam sie einfach nicht darüber hinweg.
    »Komm, lass mich mal machen«, sagte Vitali, der jetzt hinter ihr auftauchte, einen Sack mit Universaldünger auf dem Rücken.
    »Ich schaff das auch allein«, keuchte Cara. Sie zog die Schubkarre zurück in die Halle, holte Schwung und ging zügig auf den Ausgang zu. Das Rad holperte über die Schwelle, die Karre neigte sich zur Seite, ganz langsam, und wäre unweigerlich gekippt, wenn Vitali seinen Düngersack nicht fallen gelassen und zugepackt hätte.
    »Verdammt.« Cara wischte sich den Schweiß von der Stirn. Vitali nahm die Schubkarre und schubste sie über die Schwelle, als wäre es ein Puppenwagen.
    »Bitte schön.«
    »Danke, Klitschko.« Sie zog eine Grimasse und massierte sich die schmerzenden Schultern. »Vielleicht sollte ich doch lieber in einem Nagelstudio anfangen.«
    »Dann musst du dir aber das Fluchen abgewöhnen.«
    »Scheiße.«
    »Siehst du. Bleib mal lieber hier.«
    »Aber ich kann mir doch nicht ständig von dir helfen lassen.«
    »Warum nicht? Ich helfe dir, du hilfst mir. Wo ist das Problem?«
    »Ich helfe dir? Wie denn?«
    »Ich muss heute noch ein Angebot rausschicken.« Vitali wies mit dem Kopf auf das Bürogebäude auf der anderen Seite des Hofs. »Kannst du das Ganze noch mal durchlesen? Ich hab’s nicht so mit der Rechtschreibung.«
    »Renzo auch nicht. Ist auch egal. Die Kunden achten doch eh nur auf die Preise.«
    »Ich will aber, dass alles richtig ist.«
    Cara stellte sich wieder vor die Schubkarre und bugsierte ihre Ladung quer über den Hof. Angebote rauszuschicken und Anschreiben zu verfassen gehörte gar nicht zu Vitalis Aufgaben, das machte normalerweise Evi, Renzos Frau. Vitali wollte sie nur aufbauen. Und ihr das Gefühl geben, dass sie nicht vollkommen fehl am Platz war.
    Vitali war Azubi wie Cara, aber schon im dritten Lehrjahr. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte Renzo sie vermutlich längst rausgeschmissen. »Ist doch nicht so schlimm«, sagte er immer, wenn er ihr mal wieder zur Seite sprang. »Kann doch jedem passieren.«
    Es passierte aber nicht jedem. Es passierte nur Cara. Der einzigen Frau im Team. Weil sie eben doch zu schwach war. »Garten- und Landschaftsbau ist ein Männerberuf«, hatte ihr Vater gesagt, als er von ihrer Berufswahl erfahren hatte. »Ich geb dir ein halbes Jahr. Dann schmeißt du hin.«
    Das war der Hauptgrund, warum Cara bisher noch nicht aufgegeben hatte. Und Vitali natürlich.
    Er war Russe und lebte erst seit ein paar Jahren in Deutschland. Man hörte es ihm an, er rollte das R und dehnte manche Worte so, dass man sie fast nicht verstand, und verwechselte öfter die Artikel. Die Ausbildung zum Landschaftsgärtner hatte er angefangen, weil die Gärtnerei gleich bei ihm um die Ecke lag. »Da bin ich morgens schnell da und auch schnell wieder zu Hause«, hatte er Cara an ihrem ersten Tag bei Heinrich Galabau erzählt.
    Sie hielt das für einen Scherz und lachte, aber es war sein Ernst.
    »Uns haben sie eingetrichtert, dass wir uns gar nicht genug Gedanken über unsere Ausbildung machen können«, sagte sie. »›Wägen Sie die Vor- und Nachteile eines Berufs sorgfältig ab‹ und
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