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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel
Autoren: Corina Bomann
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nahenden Unwetters auf die Straße gewagt hatten. Weiter ging es über den Alten Markt und an der Nikolaikirche vorbei.
    Der Sturm folgte ihnen beharrlich wie eine Hundemeute. Überall klapperten Fensterläden, Stroh flog umher und Schweine suchten quiekend das Weite. Eine Katze drückte sich fest an das Fensterbrett eines Hauses, eine weitere duckte sich in einen Busch. Hundegebell mischte sich mit Donnergrollen.
    Bei der Heilgeiststraße trennten sich die Wege der Mädchen. Marte musste in die Frankenstraße, Anneke hatte es noch etwas weiter bis in die Kiebenhieberstraße.
    Nur wenige Leute waren jetzt noch unterwegs. Die meisten strebten eilig ihren Häusern zu. Hüte und Hauben hatten sie tief ins Gesicht gezogen und ihre Mäntel und Umhänge flatterten wie Banner hinter ihnen her.
    Die Gegend um St. Marien war recht einfach, aber Anneke lebte gern hier. Weil sie die Tochter allein großzog, hatte ihre Mutter, Johanna Thießen, kein besonders hohes Ansehen. Die meisten Nachbarn ließen sie jedoch in Ruhe oder waren ihr sogar freundschaftlich verbunden. Natürlich gab es auch den einen oder anderen, der sie schief ansah oder dumme Bemerkungen fallen ließ, aber das kam nicht allzu häufig vor.
    Anneke bewunderte ihre Mutter für ihre Eigenständigkeit, dennoch wünschte sie sich ab und zu einen Mann ins Haus, damit er mit anpacken konnte. Leider war ihr Vater schon vor ihrer Geburt gestorben.
    Haus konnte man ihre Wohnstätte nicht nennen, es war vielmehr eine größere Hütte, die mit Schindeln statt mit der üblichen dicken Reetschicht gedeckt war. Da die Häuser in der Nachbarschaft alle ein wenig größer waren, entstand der Eindruck, ihr Heim würde sich zwischen ihnen ducken.
    Die kleine Gartenpforte klapperte und der Apfelbaum, der sich neben dem Gebäude in den Himmel reckte, wankte bedrohlich im Wind. Anneke huschte an ihnen vorbei und betrat die Hütte.
    Merkwürdige Stille schlug ihr entgegen. Der Sturm zerrte an den Fensterläden, die Schindeln auf dem Dach knackten und die Balken ächzten. Aber die gewohnten Geräusche fehlten. Normalerweise klapperte ihre Mutter um diese Zeit mit den Töpfen oder machte sich auf andere Weise bemerkbar. Selbst, wenn sie irgendwo saß und im Kerzenschein strickte, war ihre Anwesenheit spürbar.
    Jetzt schien sie nicht zu Hause zu sein.
    Anneke war erleichtert, denn die Schelte für ihren verlängerten Spaziergang würde so noch eine Weile ausbleiben. Dann fiel ihr aber ein, dass ihre Mutter sich um sie gesorgt haben könnte. Vielleicht war sie auf der Suche nach ihr!
    Unruhe stieg in Anneke auf. Bei diesem Wetter durch die Straßen zu laufen, konnte gefährlich sein. Sie selbst hatte auf dem Heimweg ein paar Mal herabfallendem Moos und Reet ausweichen müssen. Gewiss dauerte es nicht mehr lange, bis es Schindeln und Ziegel hagelte.
    Die Angst um ihre Mutter war plötzlich so übermächtig, dass sie drauf und dran war, trotz des Unwetters nach ihr zu suchen.
    Doch plötzlich drang ein lang gezogenes Stöhnen an ihr Ohr.
    Zunächst hörte es sich wie das Klagen des Windes an, dann erkannte sie, dass es die Stimme ihrer Mutter war.
    »Anneke, bist du das?«
    Der gequälte Tonfall ließ das Mädchen sofort zur Stube laufen. Ihr Herz pochte, als würde sie noch immer über den Knieperdamm rennen. Schon vor einigen Tagen hatte Anneke bemerkt, dass es ihrer Mutter wieder einmal nicht gut ging. Schweiß hatte ihr auf der Stirn gestanden, obwohl es draußen nicht warm war, und manchmal hatte sie sich hinsetzen und verschnaufen müssen, obwohl sie keine schwere Arbeit getan hatte.
    Auf Annekes Frage, was ihr sei, hatte sie ausweichend geantwortet, dass es schon vorübergehen würde.
    So, wie sie sich jetzt anhörte, hatte sich ihr Zustand sehr verschlechtert.
    Und du hast dich mit Marte am Strand herumgetrieben, anstatt bei ihr zu sein!, meldete sich Annekes schlechtes Gewissen.
    Anneke fand ihre Mutter in der Schlafstube. Voll bekleidet lag sie auf dem Bett. Ihr Gesicht war bleich, blaue Schatten hatten sich unter ihren Augen eingegraben. Auch ihre Lippen hatten eine merkwürdige Farbe angenommen. Schweiß klebte ihr dunkelblondes Haar am Kopf fest. Noch nie zuvor hatte sie so krank ausgesehen.
    »Mutter, was ist dir?«, fragte Anneke, kniete sich neben das Bett und griff nach deren Hand, die wie erfroren war.
    Johanna Thießen versuchte sich an einem Lächeln, dabei sprang ihre trockene Unterlippe auf und ein Blutstropfen quoll hervor. »Anneke, hol schnell den Medikus«,
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