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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel
Autoren: Corina Bomann
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Kammer auf dem Dachboden.
    Bevor er mit der Untersuchung begann, schickte der Medikus Anneke aus der Kammer. Verstohlen blickte sie durch den Türspalt und versuchte, ein paar Worte aufzuschnappen, doch der Arzt redete nicht viel.
    »Am besten, du gehst morgen los und versuchst, ein paar Zutaten für eine kräftige Brühe zu bekommen«, sagte er, nachdem er die Schlafstube verlassen hatte. Anneke war schnell in die Küche gehuscht, damit es nicht so aussah, als hätte sie gelauscht. »Das Herz deiner Mutter ist so schwach, dass ich keinen Aderlass vornehmen kann. Sie braucht etwas, um zu Kräften zu kommen.«
    »Und wie steht es mit einer Arznei für ihr Herz?«
    »Nicht gut«, antwortete er und strich sich nachdenklich übers Kinn. »Es gibt gewisse Mittel, aber ich glaube nicht, dass sie deiner Mutter helfen würden. Wenn ihr Herz nicht von allein zu seiner Kraft zurückfindet …«
    Anneke schnappte erschrocken nach Luft.
    Das durfte nicht sein!
    »Ich werde ihr eine Brühe kochen«, sagte sie entschlossen, als könnte sie damit die unausgesprochenen, bedrohlichen Worte vertreiben.
    Als sie dem Medikus seinen Lohn geben wollte, schüttelte er den Kopf. »Lass es für heute gut sein, Kind. Pass auf deine Mutter auf. Sollte sich ihr Zustand verschlechtern, melde dich noch mal bei mir.«
    Damit verschwand er im Unwetter.
    *
    Die ganze Nacht wachte Anneke am Bett ihrer Mutter. Wie sollte sie bei diesem Wetter auch ein Auge zubekommen?
    Draußen tobte der Sturm noch immer mit aller Macht. Den klappernden Fensterladen hatte sie inzwischen gesichert, doch die Wände und der Dachstuhl ächzten unter den Windstößen, als könnten sie ihnen nur mühsam Widerstand leisten.
    Dem Gewitter, das noch immer einen Blitz nach dem anderen über den schwarzen Himmel jagte, war verspätet der Regen gefolgt. Zunächst nur ein leichtes Nieseln, jetzt prasselten dicke Tropfen auf den Strelasund nieder.
    Zu allem Überfluss zeigte sich, dass das Dach der Hütte nicht mehr dicht war. Ob der heutige Sturm ein paar Schindeln abgerissen hatte, oder ob die Schäden schon länger vorhanden waren, konnte Anneke nicht mit Gewissheit sagen.
    Sie starrte auf die Pfütze, die sich rasch bildete, dann ging sie in die Küche und holte ein irdenes Gefäß, das sie unter das Rinnsal stellte.
    Tropf, tropf, tropf machte es stetig, doch schon bald verwandelte sich das helle Geräusch in ein tieferes Platschen, dessen Gleichförmigkeit Annekes Lider schwer werden ließen.
    Einen Moment noch widerstand sie Morpheus' Armen, doch dann konnte sie sich nicht länger wehren und schlief neben dem Bett der Mutter ein. Den Ruf des Nachtwächters, der trotz Sturm und Regen durch die Straßen ging, um Mitternacht zu verkünden, hörte sie nicht mehr.
    *
    Der nächste Morgen versprach schönes Wetter. Der Sturm hatte die Wolken verjagt und einen blitzblanken dunkelblauen Himmel hinterlassen, dessen Ränder mit prächtigem Morgenrot gesäumt waren. Tauben kreisten um die Türme der drei großen Kirchen der Stadt, verfolgt von einigen Falken, deren schrilles Kreischen durch die angrenzenden Gassen hallte.
    Anneke lief in aller Frühe zum Marktplatz, um Zutaten für eine kräftige Brühe einzuholen. Die unausgesprochenen Worte des Medikus verfolgten sie dabei, doch es gelang ihr, sich einzureden, dass eine gute Brühe ihrer Mutter wieder auf die Beine helfen würde.
    Viel Geld hatten sie nicht mehr, aber in einem Gefäß auf dem Küchenschrank hatte sie noch ein paar Silberlinge gefunden. Dafür würde sie sicher ein Huhn bekommen, und wenn sie den Händler freundlich bat, hackte er dem Vogel vielleicht auch gleich den Kopf ab.
    Die Morgenluft, die vom Hafen herüberwehte, war frisch und roch nach Seetang und Fisch. Hier und da wurde ein Fenster geöffnet und der Inhalt eines Nachttopfes ergoss sich platschend auf die Straße. Beißender Gestank breitete sich aus.
    Anneke sprang rasch zur Seite und setzte ihren Weg dann fort.
    Sie erinnerte sich noch gut daran, als ihre Mutter sie zum ersten Mal dorthin mitgenommen hatte, anstatt sie wie sonst bei der Nachbarin zu lassen.
    Die Buden waren ihr allesamt riesig vorgekommen, bei einigen reichte sie selbst nicht mal bis zur Warenauslage.
    Das hatte sich inzwischen geändert. Sie war wie Bohnenkraut in die Höhe geschossen und überragte mittlerweile so manche erwachsene Frau. Manchmal fragte sie sich, ob diese Größe von ihrem Vater kam, denn sie hatte inzwischen auch ihre Mutter überholt.
    Die Glocke, die zum Morgengebet
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