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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz
Autoren: Britta Strauß
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dass … so ein Blödsinn.“ 
    Sein Blick wechselte zwischen dem Jungen und dem Fell hin und her. Nach einer Weile, in der er abwechselnd geseufzt und sich die Haare gerauft hatte, rang er die Hände wie zum Gebet. „Bei allen guten Geistern. Das ist doch irrsinnig. Meine Nase hat eindeutig zu tief in der Trompetenblume gesteckt. Hast du eigentlich die Geschichten gehört?“
    „Was für Geschichten?“
    „Über die Seehunde, die den Fischern ihre Netze zerbeißen. Sie sollen ungewöhnlich hell gefärbt sein. Fast wie Albinos. Vielleicht ist es auch nur ein einzelnes Tier.“
    Und zwar das da , schien sein Blick zu sagen, als er sich wieder auf den Jungen heftete.
    „Habe davon gehört“, murmelte ich. „Über irgendwas schwadronieren die Fischer doch immer. Kormorane, die ihnen angeblich die Beute wegfressen, Meeresmonster oder Apfelkuchen.“
    Ich blickte zu dem Jungen, dann zu dem Fell, und kam mir unglaublich dämlich vor, weil ich beides miteinander verband.
    „Was sollen wir denn jetzt tun, Dad?“ Wie immer, wenn ich nervös war, zog ich die Ärmel meines Pullovers lang und knüllte die Enden zwischen meinen Fäusten zusammen. „Wir müssen doch irgendwas tun.“
    „Keine Ahnung. Wir können ihm nicht weiterhelfen.“
    „Aber er kann nicht ins Krankenhaus.“
    „Mari, er braucht einen Arzt. Egal wer er ist oder wo er herkommt, das Wichtigste ist, dass er am Leben bleibt.“
    Mein Verstand stimmte zu. Der Junge brauchte Hilfe. Bessere Hilfe. Am Ende waren wir schuld an seinem Tod, nur weil wir ihm nicht das beschafft hatten, was nötig war. Aber dann sah ich sein Gesicht, seine blasse Elfenbeinhaut, sein Fell … und in mir erwachte die Gewissheit, dass niemand von ihm erfahren durfte. Dad schien ähnliche Gedanken zu wälzen, denn anstatt zum Telefon zu greifen, rieb er sich nur die Stirn und starrte ins Leere. Genauso hatte er ausgesehen, als Mum ihm vor den Kopf geknallt hatte, sie würde in ein paar Stunden nach Miami fliegen und nicht wieder zurückkommen. Wie damals schien sein graues Haar elektrisiert zu sein. Manchmal, wenn er sich besonders aufregte, stand es ihm wortwörtlich zu Berge.
    „Wir sind echte Mondkälber, Mari. Das kommt davon, wenn man sich einen ganzen Dschungel an Orchideen heranzüchtet. Die ganzen halluzinogenen Dämpfe haben uns das Gehirn vernebelt.“
    Dad verfiel in betroffenes Schweigen, in meinem Kopf summte es. Drüben im Gewächshaus zwitscherten die Gouldamadinen zur Lieblings-CD meines Vaters, die an kalten Wintertagen wie diesem ununterbrochen rauf und runter lief: George Winstons December . Ätherische Klavierklänge, die mich dieses Mal jedoch nicht beruhigen konnten.
    Dads Grimasse nach zu urteilen, dachte er gerade an meine Mutter, die uns verlassen hatte, als ich zwölf Jahre alt gewesen war. Immer wenn sie in unseren Gesprächen auftauchte oder er zufällig über ein Andenken von ihr stolperte, sah er aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Unpassenderweise drifteten auch meine Gedanken zu ihr ab. Vielleicht war es ein Schutzreflex. Eine Art von instinktivem Suchen nach einer gedanklichen Ablenkung.
    Mums Verschwinden war jetzt fünf Jahre her. Ich hatte mich an ihre Abwesenheit gewöhnt, auch wenn es Momente gab, in denen ich sie schmerzlich vermisste und aus der Ferne mit ein paar Flüchen bedachte, weil sie es sich selbst so einfach gemacht hatte. Dad hingegen trauerte ihr nach wie am ersten Tag. Mit ihren feinen Kleidern, ihrem teuren Lippenstift und der Vorliebe für das hektische Stadtleben hatte meine Mutter nie auf die Insel gepasst. Er und sie waren eine Verbindung eingegangen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen war. Was ihn glücklich gemacht hatte, hatte sie gelangweilt. Was Mum entzückt hatte, war bei ihm nur ein Grund für Kopfschmerzen gewesen. An ihren Tobsuchtsanfall, als er eines Tages mit zwölf Gouldamadinen angekommen war, erinnerte ich mich, als wäre es gestern gewesen:
    „Sie scheißen alles voll! Schaff sie wieder weg!“
    „Unsinn, Schatz. Sieh nur, sind sie nicht wunderschön?“
    „Wenn sie die Möbel vollkacken, machst du sie sauber.“
    „Sie werden uns in den Schlaf zwitschern.“
    „Bestimmt übertragen sie widerliche Krankheiten.“
    „Sieh sie dir doch nur mal an, Liebling. Schau, wie wunderbar sie aussehen, wenn sie auf dem Frangipangi-Busch 2 sitzen. Außerdem hielt der Händler sie in einem Käfig, der kaum größer war als ein Schuhkarton. Wie hätte ich das mit ansehen können?“
    „Auf
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