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Stunde der Vergeltung (German Edition)

Stunde der Vergeltung (German Edition)

Titel: Stunde der Vergeltung (German Edition)
Autoren: Shannon McKenna
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besagte drei Schritte zurückzugehen, ohne Einmischung oder Gequatsche.
    Es war ein Kinderspiel gewesen, die Sicherheitssysteme in den Praxen des Psychologen und des Arztes zu überlisten und Kopien der Krankenakten des kleinen Mädchens anzufertigen. Val hatte sich Zugang zur Datenbank der Agentur verschafft, die sich um die Adoptionsabläufe kümmerte. Er kannte die ganze dramatische Geschichte des Kindes, aus dem in Kürze Rachel Steele werden sollte, und dank der aus der Ferne aktivierten Abhörgeräte unter den Schreibtischen des Psychologen und des Kinderarztes wusste er inzwischen mehr über die Verdauung, Lebensmittelallergien, Ausschläge, Hüft- und Knöcheldeformationen, Augenprobleme, chronischen Ohrentzündungen, Nebenhöhleninfektionen und Schlafstörungen des Kindes, als er je hatte wissen wollen.
    Außerdem wusste er weitaus mehr, als ihm lieb war, darüber, wie sehr Rachel Tamara Steele am Herzen lag. Es war eine wichtige Information für die Matrix, trotzdem bezog Val sie nicht mit ein. Sie beunruhigte ihn.
    Er wusste, welches Bild seine Zielperson der Welt über sich vermitteln wollte. Es war weder viel, noch entsprach es der Wahrheit. Ihre vielschichtige Identität hielt sogar einer peinlich genauen Überprüfung stand. Val hätte keinen Anlass gesehen, sie infrage zu stellen, wäre ihm nicht längst bekannt gewesen, dass die Frau eine Hochstaplerin, Diebin und Mörderin war. Sie hatte Erfahrung im Bankbetrug, in schmutzigen Immobiliengeschäften, im Waschen von Geld und zahllosen anderen kriminellen Delikten. Zudem war sie eine begnadete Lügnerin.
    Andererseits, was war schon die Wahrheit? Er verurteilte Steele nicht. Sein eigenes Leben war ein derart dichtes und komplexes Lügengespinst, dass er nicht länger unterscheiden konnte, welche Charaktermerkmale tatsächlich zu ihm gehörten. Er war nur ein Kartenhaus, darunter gähnende Leere. Papier und Pappkarton.
    Verärgert verjagte er den ablenkenden Gedanken. Diese Art von wehleidiger Selbstbetrachtung war dumm und führte zu nichts. Er hatte keine Zeit für nutzlose philosophische Grübeleien.
    Die Sicherheitsvorkehrungen sowohl des Arztes als auch des Psychologen mochten inadäquat sein, aber auf Steeles Festung traf das nicht zu. Val kannte den Grundriss ihres Anwesens von Satellitenbildern, die ihm Prime Security Solutions – die private Sicherheitsfirma, für die er verdeckt operierte – zur Verfügung gestellt hatte, doch er konnte sich kein Stück weiter an Steeles hochmodernes Sicherungssystem heranwagen, ohne aufzufliegen.
    Darum brauchte er eine Rechtfertigung, um sich ihr zu nähern. Bei jemandem, der so paranoid und menschenscheu war wie sie, war das eine große Herausforderung.
    Val rätselte noch immer, was eine Berufskriminelle wie Steele bewogen haben mochte, ein kleines Kind zu adoptieren. Sollte es zur Tarnung dienen, so war das Ganze umständlich und unpraktisch, und die Frau, die sich derzeit Tamara Steele nannte, hatte sich in der Vergangenheit nie anders als skrupellos effizient gezeigt.
    Val stieß ein Seufzen aus, mit dem er sich sein Scheitern eingestand, und rappelte sich hoch. Er beugte die Knie und schüttelte die nackten Füße aus, um den Blutfluss in Gang zu bringen, dann schnippte er mit den Fingern unter der geräuschempfindlichen Lampe, um das Licht in der Hotelsuite anzuschalten. Barfuß ging er geräuschlos zur Kochnische und betätigte den Heißwasserhahn des Trinkwasserapparats, um sich einen Lapsang-Souchong-Tee aufzubrühen. Als er den Teebeutel entfernte, fiel ihm auf, dass er dieselbe Sorte gekauft hatte wie letzte Woche, weil sie ihm schmeckte. Es schien eine banale Kleinigkeit zu sein, doch ein Lapsus wie dieser konnte einen Mann das Leben kosten.
    Er musste gewissenhafter sein. Er hätte Kaffee, Fruchtsaft, einen Energydrink kaufen sollen. Irgendetwas anderes jedenfalls. Keine Gewohnheiten . Es war eine der ersten Lektionen, die er als Agent gelernt hatte. Gewohnheiten waren tödlich. Bald wurden sie zu Bedürfnissen. Ein Agent konnte sich keine Bedürfnisse oder auch nur Präferenzen leisten. Er musste ein unbeschriebenes Blatt sein, um sich in alles und jeden verwandeln zu können. Leicht und leer, biegsam wie ein Turner. Bereit, jede Richtung einzuschlagen. Imres Training zahlte sich dabei aus.
    Nur dass Imre nie gewollt hätte, dass Val ein Mann aus Papier und Pappkarton wurde. Ein leerer Mensch, der nichts sein Eigen nannte.
    Er inhalierte den aromatischen Duft des Tees und fühlte sich
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