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Stunde der Vergeltung (German Edition)

Stunde der Vergeltung (German Edition)

Titel: Stunde der Vergeltung (German Edition)
Autoren: Shannon McKenna
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Dahinschmelzen.
    Das Problem war nur, dass Tams emotionale Abwehr zusammen mit ihrem Herz dahinschmolz und sie absolut noch nicht darauf vorbereitet war, ohne diesen Schutz auszukommen. Es war beängstigend.
    Rachel drehte sich um, schlang einen dünnen, dabei aber erstaunlich kräftigen Arm um Tams Hals und zog sie in eine nach Babyseife, saurer Milch und Zahnpasta riechende Umarmung, die ihr die Luft abdrückte.
    Tam hielt das kleine Mädchen fest und fand Trost in der Wärme ihres anschmiegsamen, sehnigen Körpers. Rachel vibrierte vor Leben, sie strahlte wie eine kleine Sonne. Ihr nahe zu sein, fütterte einen Teil in Tam, der dem Verhungern nahe gewesen war. Einen Teil, den sie für mausetot gehalten hatte.
    Rachel brauchte sie so dringend. Oder vielmehr brauchte das Kind irgendjemanden und hatte das fragwürdige Glück gehabt, dass Tamara im psychologisch entscheidenden Moment da gewesen war. Und schwuppdiwupp … schon hatte die Kleine an ihr geklebt wie eine Klette. Unversehens hatte Tam feststellen müssen, dass sie sich danach sehnte, gebraucht zu werden.
    Wie eigenartig. Wo war das nur hergekommen, nachdem sie sich bewusst ein Leben lang einen Dreck um alles geschert hatte? Nachdem sie es zu einer hohen Kunst entwickelt hatte, nichts und niemanden an sich heranzulassen?
    Rachel war knapp drei Jahre alt und hatte schon mehr Pech gehabt, als den meisten Menschen in ihrem ganzen Leben widerfuhr. Sie war nach ihrer Geburt in einem Schweinestall von einem Waisenhaus gelandet, anschließend von habgierigen Organpiraten mitgenommen worden, die sie in ihre Einzelteile zerlegen wollten, und war zusammen mit einem Rudel anderer verzweifelter Kinder monatelang in einem stinkenden, fensterlosen Verschlag eingesperrt gewesen – schlimmer hatte es nicht mehr werden können.
    Es sei denn, man wollte anführen, dass sie sich als Adoptivmutter ausgerechnet Tamara Steele ausgesucht hatte. Damit hatte sie echt den Hauptgewinn gezogen.
    Und als wäre das nicht schon genug, wurde ihre auserwählte Mutter nun auch noch nervös und paranoid. Besser gesagt noch nervöser und paranoider als sonst, was in Anbetracht ihrer beeindruckenden Liste an Todfeinden wirklich etwas heißen wollte. Es war ein nicht zu erklärendes Gefühl, aber Tam konnte es einfach nicht abschütteln. Schon seit Wochen fühlte sie, wie ihr grunzendes Reptilienhirn über ihre schuppige Reptilienschulter blickte und ihr zuflüsterte, dass sie beobachtet wurde.
    Paranoia oder reale Gefahr? Unmöglich zu sagen. Ihre Instinkte waren gut. Aber ihre aus der Reihe tanzenden, verrückt spielenden Emotionen konnten selbst das aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Und womöglich würde sie das alles nie wieder ganz unter Kontrolle bringen. Das Chaos regierte, innerlich wie äußerlich. Sie musste sich einfach daran gewöhnen.
    Tam tätschelte den in Fleece gehüllten Rücken des kleinen Mädchens und streichelte über die warme Rundung seines Köpfchens. Staunend berührten ihre Finger die seidigen Locken, die weichen Pausbäckchen, den rosaroten Mund, der halb offen stand und auf dem mondbeschienener Babyspeichel schimmerte. Was für ein hübsches kleines Mädchen. Tams Atemzüge vertieften sich, ihr Herzschlag wurde langsamer und gleichmäßiger. Und dann breitete sich wie immer dieses unglaubliche Gefühl in ihrer Brust aus.
    Sie fühlte sich warm und weich … und so lebendig.
    Lebendig . Gott möge ihr beistehen. Also war in ihr doch noch etwas lebendig. Sie realisierte diese Entwicklung mit einer Mischung aus Entsetzen und Furcht, unsicher, ob sie gut oder schlecht war.
    Das Mondlicht kroch mit quälender Langsamkeit über die Wand. Tam streichelte den Rücken des Kindes, tat ansonsten nichts als zu atmen. Das Donnern der Gewehrschüsse hallte noch immer beharrlich durch ihren Kopf, die von Schmerz und Entsetzen zeugenden Schreie gellten aus den Zellen im Keller empor und hallten durch ihr Gedächtnis. Aber wenn sie sich einfach nur auf Rachel konzentrierte, darauf, wie schön und klein und perfekt sie war, bekam sie ausreichend Sauerstoff. Dann konnte sie diesen schmalen Grat, der durch die schlechten Erinnerungen führte, beschreiten, ohne sofort einen stressbedingten Flashback zu erleiden.
    Es war hart. Heute Nacht verblassten die Traumbilder nicht. Sie hatten sich tief in ihr festgesetzt. Sie würde diese Schüsse, diese Schreie noch die ganze Nacht hören. Aber sie würde es überstehen. Es ging ihr gut. Sie musste einfach nur … atmen.
    Ein Teil von ihr
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