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Stürmische Begegnung

Stürmische Begegnung

Titel: Stürmische Begegnung
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Fast im selben Moment sagte mir die Türglocke, daß er die Tür wieder geschlos sen hatte.
    Der Tag war auf einmal grau in grau. Meine Freude über die beiden Stühle war dahin, vertrieben von der Mißstimmung, die ich diesem Mann zu verdanken hatte. Normalerweise fasse ich nicht schnell eine Abneigung gegen andere Leute, und ich ärgerte mich nicht nur über ihn, sondern auch über mich selbst, weil ich so empfindlich war. Ich dachte noch darüber nach, während ich die Walton Street hinunterging und die Buchhandlung betrat. Nicht einmal die Gewißheit, nicht mehr draußen in der Kälte zu sein, und der angenehme Geruch von neuem Papier und Druckerschwärze konnten meine schlechte Laune vertreiben.
    Die Buchhandlung hatte drei Stockwerke. Im Erdgeschoß standen die neuen Bücher, oben die antiquarischen Bücher und die alten Drucke, und unten im Souterrain lag das Büro von Stephen. Ich sah, daß Jennifer, die zweite Verkäuferin, gerade jemanden bediente, und da die einzige andere Kundin, eine alte Dame in einem Tweedcape, in den Gartenbüchern schmökerte, ging ich zu dem kleinen Garderoberaum und knöpfte dabei mei nen Mantel auf. Ich hörte Stephens schwere Schritte auf der Treppe von unten und blieb stehen, um auf ihn zu warten. Im nächsten Augenblick erschien seine große, leicht gebückte Ge stalt, und er stand vor mir mit seinem bebrillten Gesicht und seiner immer freundlichen Miene. Er trug immer dunkle An züge, die aussahen, als müßten sie dringend aufgebügelt werden, und seine Krawatte war schon jetzt, zu dieser frühen Stunde, ein Stück nach unten gerutscht, so daß der oberste Hemdknopf zu sehen war.
    „Rebecca“, sagte er.
    „Ja, ich bin da.“
    „Gut, daß ich Sie erwische.“ Er sprach leise, um die Kunden nicht zu stören, und trat zu mir. „Unten ist ein Brief für Sie, er ist aus Ihrer alten Wohnung nachgeschickt worden. Am besten, Sie gehen gleich runter und holen ihn.“
    Ich runzelte die Stirn. „Ein Brief?“
    „Ja. Luftpost. Ausländische Briefmarken. Er wirkt irgendwie wichtig, ich weiß nicht, warum.“
    Mein Ärger und alle Gedanken an neue Stühle wurden plötz lich von heftiger Besorgnis verdrängt.
    „Ist er von meiner Mutter?“
    „Ich weiß es nicht. Warum gehen Sie nicht runter und lesen ihn?“
    Ich lief die steile, nackte Holztreppe ins Souterrain hinunter, die an diesem düsteren Tag von Neonröhren an der Decke beleuchtet wurde. Das Büro war herrlich unordentlich wie im mer, übersät mit Briefen und Paketen und Akten, Stößen von alten Büchern und Pappkartons und Aschenbechern, die nie rechtzeitig geleert wurden. Aber der Brief lag mitten auf Ste phens Schreibunterlage und war nicht zu übersehen.
    Ich nahm ihn. Ein Luftpostumschlag, spanische Briefmarken, ein Poststempel von Ibiza. Aber die Schrift war dünn und krakelig, wie von einer sehr spitzen Feder, und ich kannte sie nicht. Er war an die alte Anschrift gerichtet, aber die Adresse war durch gestrichen und in einer großen, mädchenhaften Handschrift durch die Adresse der Buchhandlung ersetzt. Ich fragte mich, wie lange der Brief wohl auf dem Tisch an der Wohnungstür gelegen haben mochte, ehe eine von meinen ehemaligen Mitbe wohnerinnen gemerkt hatte, daß er dort lag, und sich die Mühe gemacht hatte, ihn mir nachzuschicken.
    Ich setzte mich auf Stephens Schreibtischstuhl und schlitzte den Umschlag auf. Er enthielt zwei Blatt dünnes Luftpostpapier, und das Datum oben war der dritte Januar. Fast einen Monat alt. Irgendwo in meinem Kopf schrillte eine Alarmsirene, und ich wurde von einer namenlosen Angst gepackt. Ich las:
     
    Liebe Rebecca!
     
    Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich Sie mit Ihrem Vor-na men anrede, aber Ihre Mutter hat mir so oft von Ihnen erzählt. Ich schreibe Ihnen, weil Ihre Mutter sehr krank ist. Sie hat sich schon seit einiger Zeit nicht wohl gefühlt, und ich wollte Ihnen schon vorher schreiben, aber sie hat es nicht zugelassen.
    Jetzt tue ich es aber und sage Ihnen mit der ausdrücklichen Zustimmung des Arztes, daß ich finde, es wäre das beste, wenn Sie hierherkämen und sie besuchten.
    Wenn Ihnen das möglich ist, würden Sie mir bitte telegraphie ren, wann Ihre Maschine kommt, damit ich Sie am Flughafen abholen kann.
    Ich weiß, daß Sie arbeiten und daß es Ihnen vielleicht nicht leichtfallen wird, die weite Reise zu machen, aber ich würde Ihnen raten, keine Zeit zu verlieren. Ich fürchte, sie werden Ihre Mutter sehr verändert vorfinden, aber sie ist immer noch
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