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Stürmische Begegnung

Stürmische Begegnung

Titel: Stürmische Begegnung
Autoren: Rosamunde Pilcher
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hatte solche Angst, als ich den Brief las… Daß es zu spät sein könnte.“
    „Nein“, sagte er. „Es ist nicht zu spät.“
    Etwas in seiner Stimme veranlaßte mich, ihn anzusehen. Sein Profil zeichnete sich scharf vor dem gelben Schein der vorüber huschenden Straßenlampen ab, sein Ausdruck war sehr ernst. „Wird sie sterben?“ fragte ich. „Ja“, antwortete Otto. „Ja, sie wird sterben.“
    „ Was hat sie?“
    „Blutkrebs. Leukämie.“
    „Wie lange ist sie schon krank?“
    „Etwa ein Jahr. Aber es ist erst kurz vor Weihnachten ernst geworden. Der Arzt meinte, man sollte es mit Bluttransfusionen versuchen, und ich brachte sie ins Krankenhaus, wo sie welche bekam. Aber es nützte nichts. Als ich sie zurück nach Haus ge holt hatte, bekam sie wieder das gleiche schlimme Nasenbluten wie vorher, und ich mußte den Krankenwagen holen und sie wie der ins Krankenhaus bringen lassen. Sie war über Weihnachten da und durfte erst danach heimkommen. Dann habe ich Ihnen geschrieben.“
    „Ich wünschte, ich hätte den Brief gleich bekommen. Weiß sie, daß ich komme?“
    „Nein, ich habe es ihr nicht gesagt. Sie wissen ja, wie sehr sie Überraschungen liebt und wie sehr sie es haßt, enttäuscht zu werden. Ich dachte, es könnte vielleicht etwas dazwischenkom men, und Sie wären nicht in der Maschine.“ Er lächelte frostig. „Aber Sie sind natürlich gekommen.“
    Wir hielten an einer Kreuzung, um einen Maultierkarren vor beizulassen. Das Trappeln auf der staubbedeckten Straße klang angenehm in meinen Ohren, und hinten am Karren schwang eine Laterne hin und her. Otto benutzte die Gelegenheit, um ein Zi garillo aus der Brusttasche seines Jacketts zu nehmen und es mit dem Feueranzünder vom Instrumentenbrett anzustecken. Als der Karren vorbei war, fuhren wir weiter.
    „Wann haben Sie Ihre Mutter zuletzt gesehen?“
    „Vor zwei Jahren.“
    „Sie müssen sich darauf gefaßt machen, daß sie sehr verändert aussieht. Ich fürchte, Sie werden erschrecken, aber versuchen Sie bitte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie ist immer noch sehr eitel.“
    „Sie kennen Sie sehr gut.“
    „Natürlich.“
    Ich hätte ihn so gern gefragt, ob er sie liebte. Die Frage lag mir auf der Zunge, aber dann wurde mir bewußt, daß es in diesem frühen Stadium unserer Bekanntschaft sehr ungehörig wäre, etwas so Intimes und Persönliches zu fragen. Was für einen Unterschied würde es auch machen? Er war ihr begegnet, hatte mit ihr zusammensein wollen und ihr ein Heim gegeben, und nun, wo sie so krank war, sorgte er auf seine offenbar sehr patente Art für sie. Wenn das nicht Liebe war, was dann?
    Nach einer Weile fingen wir an, von anderen Dingen zu reden. Ich fragte, wie lange er schon auf der Insel lebe, und er sagte, seit fünf Jahren. Beim erstenmal sei er mit einer Jacht gekommen, und es habe ihm so gut gefallen, daß er ein Jahr später zurückge kehrt sei, sich ein Haus gekauft und für immer dort niedergelas sen habe.
    „Sie sind Schriftsteller…“
    „Ja, aber ich bin auch Geschichtsprofessor.“
    „Schreiben Sie historische Bücher?“
    „Früher habe ich das mal getan. Im Moment schreibe ich einen Aufsatz über die Mauren in Südspanien und auf Ibiza.“
    Ich war beeindruckt. Soweit ich mich erinnern konnte, war keiner von den früheren Liebhabern meiner Mutter auch nur eine Spur intellektuell gewesen.
    „Wie weit ist es noch?“
    „Ungefähr acht Kilometer. Santa Catarina war ein kleines intaktes Dorf, als ich hierherkam. Jetzt werden große Hotel anlagen geplant, und ich fürchte, man wird es genauso verderben wie den Rest der Insel. Nein, ich übertreibe. Wie manche Teile der Insel. Wenn man weiß, wohin man gehen muß, und ein Auto oder vielleicht ein Motorboot hat, findet man immer noch unbe rührte Flecken.“
    Da es im Wagen sehr warm war, kurbelte ich ein Fenster her unter. Die laue Abendluft wehte mir ins Gesicht, und ich sah, daß wir jetzt auf dem Land waren und zwischen Olivenhainen hindurch fuhren, wo ab und zu hinter den dornenübersäten Früchten der Kaktusfeigen das erleuchtete Fenster eines kleinen Bauernhauses schimmerte.
    „Ich bin froh, daß sie hier ist“, sagte ich. „Ich meine, wenn sie krank ist und sterben muß, ist es gut, daß sie hier sein kann, im Süden, in der warmen Sonne und dem Duft von Kiefern.“
    „Ja“, sagte Otto. Und dann, so sachlich und unverblümt, wie es seine Art zu sein schien: „Ich glaube, sie ist hier sehr glücklich gewesen.“
    Wir fuhren schweigend
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