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Stürmische Begegnung

Stürmische Begegnung

Titel: Stürmische Begegnung
Autoren: Rosamunde Pilcher
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guten Mutes.
     
    Mit den besten Wünschen
    Ihr Otto Pedersen.
     
    Ich saß fassungslos da und starrte auf den Brief hinunter. Die höflichen Wendungen sagten mir alles, und zugleich verschwie gen sie das meiste. Meine Mutter war schwer krank, sie lag vielleicht im Sterben. Er hatte mich vor vier Wochen aufgefor dert, keine Zeit zu verlieren und zu kommen. Inzwischen war ein Monat vergangen, ich hatte den Brief eben erst bekommen, viel leicht war sie schon tot – und ich war nicht hingefahren. Was würde er von mir denken, dieser Otto Pedersen, den ich nie ge sehen hatte, von dem ich bis eben nicht mal gewußt hatte, wie er hieß ?

2
     
     
     
     
    I ch las den Brief wieder, und dann noch einmal, und die dünnen Blätter raschelten in meiner Hand. Als Stephen schließlich herunterkam, um mich zu suchen, saß ich immer noch da.
    Ich drehte mich um und sah ihn über die Schulter hinweg an. Er sah mein Gesicht und sagte: „Etwas Schlimmes?“
    Ich versuchte, es ihm zu sagen, konnte es aber nicht. Statt des sen hielt ich ihm den Brief hin, und während er ihn nahm und las, klammerte ich mich an die Armlehnen des Schreibtischstuhls und kämpfte gegen eine schreckliche Angst an.
    Er sah auf, legte den Brief zwischen uns auf den Schreibtisch und sagte: „Haben Sie gewußt, daß sie krank ist?“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Wann haben Sie zuletzt von ihr gehört?“
    „Vor vier oder fünf Monaten. Sie hat nie Briefe geschrieben.“ Ich sah zu ihm hoch und sagte zornig, halb erstickt von dem großen Kloß in meiner Kehle: „Es war vor fast einem Monat. Der Brief hat in der Wohnung gelegen, und kein Mensch hat sich die Mühe gemacht, ihn mir nachzuschicken. Sie kann inzwischen tot sein, und ich bin nicht hingefahren. Sie wird denken, daß es mir einfach egal war!“
    „Wenn sie gestorben wäre, hätten Sie es sicher erfahren“, sagte Stephen. „Weinen Sie nicht, dafür ist jetzt nicht der richtige Augenblick. Wir müssen dafür sorgen, daß Sie auf dem schnell sten Weg nach Ibiza kommen, und diesem – “ er warf einen Blick auf den Brief – „diesem Mr. Pedersen Bescheid geben, daß Sie kommen. Alles andere ist jetzt unwichtig.“
    „Ich kann nicht“, sagte ich, und mein Mund zuckte, meine Unterlippe fing an zu beben, als wäre ich ein zehnjähriges Mäd chen.
    „Warum nicht?“
    „Ich habe nicht genug Geld für den Flug.“
    „Oh, liebes Kind, lassen Sie mich das machen…“
    „Aber das kann ich nicht zulassen.“
    „Doch, Sie können, und wenn Sie zu stolz sind, können Sie es mir über die nächsten fünf Jahre in Raten zurückzahlen, ich kann Ihnen auch Zinsen berechnen, wenn Sie das glücklicher macht, und jetzt reden wir um Gottes willen nicht mehr davon…“ Er griff bereits nach dem Telefonbuch und wirkte auf einmal gar nicht mehr versponnen. „Haben Sie einen gültigen Reisepaß? Und kein Mensch wird von Ihnen verlangen, daß Sie sich gegen Pocken impfen lassen und dergleichen lästiges Zeug. Hallo, ist dort British Airways? Ich möchte einen Platz in der nächsten Maschine nach Ibiza buchen.“ Er lächelte auf mich herunter, und ich kämpfte immer noch gegen Tränen und Wut an, fühlte mich aber schon etwas besser. In Zeiten seelischer Belastung geht nichts über einen großen, freundlichen Mann, der einem alles abnimmt. Er nahm einen Bleistift und machte Notizen. „Ja. Wann? Gut. Reservieren Sie bitte einen Platz, auf den Namen Rebecca Bayliss. Wann ist die Ankunftszeit in Ibiza? Und die Flugnummer? Vielen Dank. Danke.“
    Er legte auf und betrachtete mit einer gewissen Befriedigung die unleserlichen Krakel, die er gemacht hatte.
    „Sie fliegen morgen früh, steigen in Palma de Mallorca um und kommen gegen halb acht in Ibiza an. Ich bringe Sie zum Flughafen. Nein, keine Widerworte, ich werde erst beruhigt sein, wenn ich gesehen habe, wie Sie an Bord gehen. Und jetzt schicken wir ein Telegramm an Otto Pedersen – “ er nahm den Brief wieder auf – „in der Villa Margareta in Santa Catarina und sagen ihm Bescheid, daß Sie kommen.“ Er lächelte so aufmunternd und tröstlich, daß ich plötzlich voll Hoffnung war.
    „Ich kann Ihnen nicht genug danken…“
    „Unsinn“, sagte Stephen. „Es ist das mindeste, was ich tun kann.“
     
    Ich flog am nächsten Morgen, in einer Maschine, die zur Hälfte mit hoffnungsfrohen Wintertouristen besetzt war. Sie hatten so gar Strohhüte auf, um sich vor der vermeintlich sengenden Sonne zu schützen, und als wir in Palma in grauen Nieselregen
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