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Striptease

Striptease

Titel: Striptease
Autoren: Lindsay Gordon
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stieg so leichtfüßig an Bord, wie es mit Stöckelschuhen und Koffer möglich ist. Als die Tür hinter mir zufiel, war ich zwischen ihr und dem Rücken eines Mannes eingeklemmt, der vor mir eingestiegen war. Vor ihm schoben sich die Fahrgäste langsam zu ihren Sitzplätzen. Ich schnippte ungeduldig mit meinem Ticket und seufzte, als mir klar wurde, dass es keine Möglichkeit gab, zu meinem Platz zu gelangen. Ich musste warten.
    Auf der anderen Seite des Einstiegs hatte ein Mann bereits einen bescheidenen Stehplatz ergattert. Er presste sich mit dem Rücken an die Tür, damit sich die Leute langsam an ihm vorbeidrängen konnten. Als mich die Masse Menschen langsam nach vorn und vor den Mann drückte, traf mich fast der Schlag, als ich feststellte, wie gut er aussah.
    Er war absolut mein Typ, an die vierzig Jahre alt und in einen dunklen Armani-Anzug gekleidet. Ich erkannte es am Etikett seines Jacketts, als er es auszog und über seinen Arm warf. Er hatte dichtes, leicht angegrautes Haar und feine Linien um seine hellblauen Augen. Er wirkte sehr ruhig, ein wenig scheu vielleicht. Wie ich schon sagte: Perfekt. Selbst ruhige Leute müssen sich manchmal gehen lassen, und wenn sie es tun, ist es schön, bei ihnen zu sein.
    Als sich die Fahrgäste im Abteil verteilten und es freier um ihn wurde, sah ich, wie Armani sich allmählich entspannte. Ich fühlte mich plötzlich unheimlich zu ihm hingezogen. Abgesehen von ein paar unwichtigen Entgleisungen, hatte ich mich in den letzten Monaten in den Zügen brav benommen. Keine Belästigungen, keine Anmache, kein Grabschen. Wie ich das vermisste! Dan, dieses Arschloch. Mit übersteuerter Libido stand ich hier neben diesem perfekten Armani. Konnte man es mir verübeln, wenn ich diese Gelegenheit nutzte? Konnte ich Dan damit eins auswischen? Konnte ich mir ein wenig meines alten Single-Ichs zurückholen? Und noch wichtiger: Würde es sich gut anfühlen?
    Vor mir kämpfte sich eine Frau mit vier Kindern und doppelt so vielen Hamleys-Taschen durch den Gang, um ihre Bande sicher zu den reservierten Sitzen im nächsten Abteil zu bugsieren. Sie stolperte und blockierte den kompletten Eingang zum Abteil. Während ich sie beobachtete, änderte sich meine Geilheit schlagartig in Verärgerung. Ich war wütend über diese dumme Kuh, die mit ihrer Brut ausgerechnet während der Hauptverkehrszeit verreisen musste. Ich war sauer über ihre schrecklichen Kinder, die nicht aufhörten zu quengeln, obwohl man sah, dass sie fast die Hälfte eines weltberühmten Spielzeugladens bei sich hatten.
    Ich empörte mich auch über die anderen Fahrgäste, die nichts unternahmen, um der armen Frau zu helfen. Sie verschlimmerten die Sache noch, indem sie sich extra breit machten und verärgert laut stöhnten. Ich ärgerte mich auch über die Anwesenheit von Armani und den nagenden Gedanken, dass ich mit ihm spielen wollte, denn mein ganzer Körper prickelte.
    Es war nur gut, dass ich mich wieder an den Ursprung meines Ärgers erinnerte. Die Frau hatte es endlich geschafft, sich zu setzen und ihre Kinder sowie die unzähligen Gepäckstücke um sich zu scharen. Als ich das Abteil durchquerte, hatte sich das Durcheinander entwirrt, die Leute hatten ihre Plätze gefunden, und ich konnte wieder klar denken. Da entdeckte ich Dan, der auf seinem reservierten Platz saß und die Times las. Ich blieb stehen und starrte ihn ungläubig an.
    Was, zum Teufel, spielte er für ein Spiel? Er hatte mich versetzt, mich stehen lassen wie ein asoziales Subjekt, belog mich mit einer schmucklosen SMS, und während der ganzen Zeit saß der Kerl im Zug und las die Zeitung! Ich runzelte die Stirn und überlegte, was ich tun sollte. Zwar war ich wütend, aber sollte ich ihm die ganze Strecke bis Brighton eine Szene machen? Und dann in Brighton? Angepisst oder nicht, ich hatte keine Lust auf ein Wochenende mit peinlichem Schweigen.
    Ich atmete tief durch und wollte gerade weitergehen, als sich ihm eine Frau näherte und ihn fragte, ob der Sitz neben ihm frei sei. Er schaute von seiner Zeitung auf und lächelte. Und dann, unglaublich, aber wahr, sah ich, wie er mich flüchtig ansah und ihr dann sagte, dass der Platz tatsächlich frei sei, weil eine mitreisende Kollegin den Zug verpasst habe. Mir fehlten die Worte. Als die Frau sich dankbar auf den Platz fallen ließ – meinen Platz – schaute mich Dan mit einem verschlagenen Blick und einer hochgezogenen Augenbraue an. Dann vertiefte er sich wieder in seine Zeitung.
    Schockiert
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