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Grand Cru

Grand Cru

Titel: Grand Cru
Autoren: Martin Walker
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    Das Heulen der Sirene auf dem Dach der fernen
mairie
durchbrach die Stille der französischen Sommernacht. Noch war es dunkel, die Morgendämmerung würde erst in gut einer Stunde einsetzen, doch Bruno Courrèges lag schon wach. Er grübelte über verpasste Chancen: Was hätte alles werden können mit der Frau, die noch vor kurzem dieses Bett mit ihm geteilt hatte? Aber dieser Gedanke verflog sofort, als er den schauerlich anschwellenden Alarmton hörte, der meist Gefahr bedeutete und gleichzeitig Erinnerungen wachrief. Dieselbe Sirene hatte die Bewohner des Städtchens Saint-Denis vor Krieg und Invasion gewarnt, Befreiung und Frieden verkündet und ertönte nunmehr täglich zur Mittagsstunde. Sie rief aber auch die Männer der Freiwilligen Feuerwehr zum Einsatz, und in solchen Notfällen war er als einziger Polizist von Saint-Denis natürlich persönlich gefordert. Fast erleichtert darüber, aus seinen düsteren Gedanken gerissen zu werden, schlug Bruno das zerknüllte Laken zur Seite.
    Als er sich anzog und zwischendurch immer wieder einen Schluck Milch aus dem Tetrapak trank, klingelte sein Handy. Es war Albert, einer der beiden Berufsfeuerwehrmänner, die den Trupp der freiwilligen
pompiers
anführten. Er war mit seinem Löschzug bereits unterwegs.
    »Auf der alten Straße nach Saint-Chamassy brennt's«, sagte er in gehetztem Tonfall. »Eine Scheune samt Feld. Oben auf dem Hügel, kurz vor der Abzweigung nach Saint-Cyprien. Wenn der Wind auffrischt, könnte sich das Feuer rasend schnell ausbreiten.«
    »Ich bin schon unterwegs.« Bruno kniff die Augen zusammen, stellte sich die Straßenkarte von Saint-Denis und Umgebung vor und überlegte, wie er am schnellsten zum Brandort kommen würde. Dies war sein Bezirk, und den kannte er so gut wie eine Frau ihr Gesicht im Spiegel: die Straßen, die er patrouillierte, die abgelegenen Häuser und Weiler, wohin er öfter gerufen wurde, die Wälder, in denen er jagte und manchmal auch Pilze suchte, die Bauernhöfe mit all ihren Gänsen und Enten, Schweinen und Ziegen, die aus dieser Gegend das gastronomische Herzland Frankreichs machten.
    »Verletzte scheint es nicht zu geben«, quäkte Alberts Stimme durch Brunos Handy, das er sich zwischen Schulter und Ohr klemmte, als er sich das Hemd zuknöpfte. »Verständige aber lieber doch gleich das Krankenhaus, sobald du mit dem Bürgermeister gesprochen hast. Ich werde jetzt in Les Eyzies und Saint-Cyprien Unterstützung anfordern. Würdest du bitte in der Wache vorbeischauen und sicherstellen, dass unsere Ersatztankzüge bald nachkommen? Setz dich selbst ans Steuer, wenn Fahrer fehlen. Wir brauchen jede Menge Wasser. Und bitte beeil dich. Wir sehen uns dann gleich.«
    »Da oben sind vier oder fünf Höfe. Müssen wir die womöglich evakuieren?«
    »Das weiß ich noch nicht. Sag dem Bürgermeister Bescheid! Er soll seine Leute in Alarmbereitschaft versetzen. Und vielleicht sollte Radio Périgord eine Warnung bringen.«
    Bruno betete im Stillen, sein alter Kleintransporter möge anspringen. Er fütterte schnell seinen Hund - die Hühner konnten für sich selbst sorgen - und rannte zum Wagen. Wie aus Rücksicht auf den Notfall startete der Motor auf Anhieb. Während Bruno mit einer Hand am Lenker auf die Stadt zusteuerte, rief er zuerst den Bürgermeister und dann den Arzt an, die ebenfalls beide von der Sirene geweckt worden waren. Auch das Städtchen erwachte allmählich, überall gingen Lichter an, während er mit hohem Tempo zur Gendarmerie fuhr, wo er den alten Jules am Nachtschalter darum bat, die Radiostation in Périgueux zu informieren und ein paar Kollegen loszuschicken, um die Straße vor der brennenden Scheune abzusperren. Als Bruno zu seinem Transporter zurückeilte, kam
capitaine
Duroc aus dem kleinen Kasernengebäude herbeigestürmt und zog sich im Laufschritt die Uniformjacke über. Bruno überließ es Jules, ihm zu erklären, was los war. Auf der Feuerwache mühten sich Ahmed und Fabien damit ab, die Tankanhänger fertigzumachen. Inzwischen waren mehrere Freiwillige eingetroffen. Als Fahrer wurde Bruno nicht gebraucht. Er sprang zurück in seinen Transporter, ließ das Blaulicht rotieren und gab Vollgas. Die Sirene heulte immer noch.
    Als er die offene Straße neben der Bahnstrecke nach Sarlat erreichte, sah er den rötlichen Schimmer am Nachthimmel über den Hügeln, ein Bild, das Beklemmung in ihm auslöste. Er hatte vor Feuer großen Respekt, der schon an Angst grenzte, und das nicht von ungefähr: Während der
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