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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester
Autoren: Marijke Schnyder
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stellte sich ans Fenster. Die Aare war wieder träge geworden, kalt und langsam. Sie bereitete sich auf die Kälte vor, indem sie erstarrte. Er kannte das. Auch er erstarrte, wenn kalte Zeiten bevorstanden.
    Er zupfte das Kuhfell auf seinem Sessel zurecht und setzte sich wieder hin.
    Nore Brand hatte Ferien vor sich. Eine Woche.
    Und keiner durfte ins Simmental hinauf, um nach dem Rechten zu sehen.
    Vor allem sie nicht.
    Also halt. In dem Fall verdrängte man das Unangenehme mit einer Sache, die ebenfalls unangenehm war.
    Er öffnete ein Dossier. In einer Ermittlung war geschlampt worden. Schwarzmarkt. Waffen. Unbekannte Fabrikate, die von Zuhältern und Drogenhändlern gebraucht wurden. Einiges deutete darauf hin, dass sie in einem osteuropäischen Land produziert wurden und auf irgendwelchen dunklen oder nur halbdunklen Wegen in den Westen kamen, was auch längst kein Problem mehr bedeutete. Man konnte auf dieser Welt ganz legal die größten Sauereien veranstalten.
    Der Eiserne Vorhang war längst vergessen, und wo Waffen sind, sind auch Drogen nicht weit.
    Bärfuss seufzte auf und lehnte sich im Stuhl zurück.
    »Warum bist du eigentlich Polizist geworden, Bärfuss?«
    Er sah die kleinen Augen seines Hausarztes vor sich, durch dicke Brillengläser hindurch starrte er ihn forschend an.
    Bastian Bärfuss erinnerte sich an seinen Onkel, der Landjäger gewesen war, in Bösingen, im Sensebezirk.
    ›Landjäger‹, so nannte man die Polizisten in seiner Kindheit. Die Uniform hatte ihm imponiert damals und man hatte Respekt gehabt vor seinem Onkel. Sogar, wenn er an einem heißen Sommertag im Unterhemd an seinem Schreibtisch saß, während er Ladendiebe befragte oder Schulkindern die roten Velonummern verkaufte. Das war, aus der jetzigen Perspektive betrachtet, noch die reine Idylle gewesen. Die gab es damals auch für Polizisten, als sie noch Landjäger hießen. Es irritierte ihn doch ein wenig, dass er mittlerweile fast auf ein ganzes Jahrhundert zurückblicken konnte, wenn er die Erinnerungen seines Onkels in die seinigen mit einschloss.
    »Landjäger«, murmelte Bastian Bärfuss, ›Jäger‹, das war noch eine Berufsbezeichnung gewesen, die Bubensehnsüchte wecken konnte.
    Heute würde er nicht mehr zur Polizei gehen.
    Der Arzt hatte gelacht. »Was glaubst du? Auch ich habe mich getäuscht. Großer Kindskopf, der ich war! Ich dachte, als Doktor bist du dein eigener Herr und Meister und kannst den Menschen helfen und alle sind froh drum. Ein trauriger Irrtum. Ich kämpfe gegen Kassen, Politiker und Bundesräte, weil ich ganze Tage mit dem Ausfüllen von Dokumenten verschwende. Damit gespart werden kann, muss man mich und meine Arbeit im Griff haben, von A bis Z kontrollieren! Es ist zum Totlachen! Früher habe ich einfach meine Arbeit gemacht und dabei versucht, sie gut zu machen, und heute reden plötzlich alle von Qualitätsarbeit. Als ob das eine neue Erfindung wäre! Lächerlich ist das! Qualitätsmanager meinen, sparen sei möglich, wenn man uns Ärzte zu Schreiberlingen degradiert. Diese Qualitätsdiktatoren sind eine Plage, du hast ja keine Ahnung, wie das ist, mein Lieber. Bald will keiner mehr arbeiten, weil alle am liebsten kontrollieren! Und die wenigen, die gute Arbeit machen wollen, werden von übereifrigen Qualitätskontrolleuren erfolgreich daran gehindert. Am Ende des Tages rauft man sich die Haare, weil wieder so viel liegen geblieben ist. Weil diese Prachtkerle von Qualitätsmanagern von dir verlangen, dass du für jeden Furz, den du bei einem Patienten registrierst, fünf Dokumente ausfüllen musst. So ist das, mein Lieber!«
     
    Keiner war vor Bubenträumen verschont geblieben.
    Und auch nicht vor dem bösen Aufwachen. Viele Jahre später.
    Bärfuss wünschte ihm einen schönen Tag und ging, dankbar für die Schlafpillen. Seine Arbeitskollegen wussten nichts von seinen bösen Nächten und Träumen. Er fürchtete ihren Spott, und vielleicht ging es jedem von ihnen gleich, was auch kein Wunder wäre.
    Bärfuss spürte wieder dieses altbekannte Gramseln im Blut; es kam direkt aus dem Bauch. Diese Geschichte im Simmental war nicht ausgestanden.
    Verdammt noch mal, was war es, was Nore Brand ihm seither verschwieg?
    Sie ist ein sturer Esel, dachte Bastian Bärfuss. Aber das beste Pferd im Stall der Berner Polizei war nach wie vor ein Esel namens Nore Brand.
    Bastian Bärfuss lachte leise.
    Er sah die leere Kaffeetasse vor sich stehen.
    An diesem Morgen würde eine Portion nicht bis zur Pause
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