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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester
Autoren: Marijke Schnyder
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Eine schlechte Nachricht
     
    »Von euch geht keiner dorthin! Am allerwenigsten Nore Brand!«
    Kaum hatte Bastian Bärfuss an diesem Morgen sein Büro betreten, klingelte das Telefon.
    So früh am Tag konnte es nur einer sein. Der Chef.
    »Am allerwenigsten Nore Brand!«, hallte es in seinen Ohren nach.
    Bastian Bärfuss wollte es gar nicht so genau wissen, aber schon donnerte es durch die Leitung:
    »Das ist eine Anweisung von ganz oben!«
    Bastian Bärfuss blies seine Backen auf.
    Von ganz oben also. Vom Berner Münster oder direkt aus der kalten Eigernordwand? Egal. Hauptsache, ›von ganz oben‹.
    Bärfuss schnaubte wütend.
    Sollte ihn das vielleicht beeindrucken?
    Sobald sich die Hierarchie meldete, sagte die Vernunft Adieu. Vor lauter oben und unten blieb manchen der Verstand unterwegs in diesem Lift eingeklemmt stecken und dann wussten sie nicht mehr, was zu tun war. Dann schickten sie Verbote und Drohungen in die Welt hinaus, das hatte Adrenalinschübe zur Folge, aber Hauptsache, alle Etagen waren lahmgelegt. Dann konnten wenigstens keine Fehler passieren. So dachten sie.
    Bastian Bärfuss stellte fest, dass ihm das Verständnis für Hierarchien langsam aber sicher abhandenkam. Dies gab ihm zwar eine Art innere Freiheit; doch mit dieser Freiheit kam eine neue Unsicherheit einher, und die war doch eher unangenehm.
    War es gut, sich nicht mehr zu fürchten?
    ›Anweisung von ganz oben!‹, hallte es wieder und wieder in ihm nach.
    Bärfuss hatte eine Ahnung, von wem die Rede war. Aber auch der Herr Kollege ›Ganzoben‹ musste sich am Morgen duschen, Zähne putzen, vermutlich auch rasieren, aber ganz sicher frische Socken anziehen. Auch Kollege ›Ganzoben‹ hatte Kopfschmerzen, wenn der Föhn ging oder wenn er am Vorabend einen über den Durst getrunken hatte. Auch der fiel auf die Schnauze, wenn er auf Eis ausrutschte. Auch der starrte nicht weniger blöde als alle anderen auf den Bildschirm, wenn der Computer sich aufgehängt hatte.
    Bärfuss warf einen Blick auf den Dienstplan.
    Er erinnerte sich.
    Nore Brand hatte ein paar Tage Ferien eingetragen.
    Und er ärgerte sich gewaltig, als er merkte, dass ihn diese Tatsache erleichterte. Er wusste nur zu gut: Ein Verbot war für Nore immer eine Herausforderung.
    Nur hatte der Chef in seinem Anfall vergessen mitzuteilen, was der Grund dieser Anweisung von so weit oben war, von diesem polizeihierarchischen Achttausender.
    Im Simmental war offenbar etwas vorgefallen und der Lenker Dorfpolizist Bucher würde nächstens pensioniert. Gut möglich, dass man Unterstützung brauchte dort oben. Er rechnete kurz nach. Es musste ziemlich genau ein Jahr her sein, dass Nore Brand die oberen Etagen der Kantonspolizei und des Nachrichtendienstes in große Aufregung versetzt hatte, weil sie sich, wie es ihre Gewohnheit war, vorübergehend taub stellte, um sich in aller Ruhe ihren Nachforschungen hinzugeben.
    »Deine Nore geht auf sehr dünnem Eis.«
    Das waren die Worte des Chefs, als sie – wie üblich während der letzten Phase der Ermittlung – nicht mehr erreichbar war.
    Bastian Bärfuss lächelte. Nore Brand bewegte sich nie besser als auf dünnem Eis, doch er befürchtete, dass sie eines Tages zu weit gehen würde. Schlimmer noch, er vermutete, dass es in diesem unseligen Fall bereits dazu gekommen war. Er schob diesen äußerst ungemütlichen Gedanken beiseite.
    Nicht so früh schon, bitte, nicht so früh am Morgen, denn sein Morgen begann an jedem Arbeitstag mit der Pflege seiner Zimmerpflanzen, Büropflanzen, genaugenommen. Dann holte er sich im Korridor einen Becher Kaffee ohne Zucker. Nicht, weil er ihn am liebsten so trank, ganz im Gegenteil, erst, sobald er mit dem Becher wieder an seinem Schreibtisch saß, kippte er drei Löffelchen Zucker hinein.
    Diese Umständlichkeit hatte ihren Grund: Die Gesundheit des großen Chefs wurde genauestens überwacht: Seine Assistentin, eine drahtige Sportlerin, hatte alle Süßigkeiten, inklusive Zuckerwürfel, aus seiner Reichweite entfernt. Man vermutete ein Komplott zwischen ihr und der Gemahlin des großen Chefs. Gegen diese ausgetüftelten weiblichen Überwachungsstrategien war kein Kraut gewachsen. In dieser Sache konnte der Mann einem leidtun. Nur in dieser einen Sache natürlich. Bastian Bärfuss verzog sein Gesicht. Nie im Leben würde er seinen Kaffee mit künstlichem Zucker versüßen; er brachte dieser Chemikalie tiefstes Misstrauen entgegen, was in erster Linie am seltsamen Geschmack dieses zweifelhaften
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