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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester
Autoren: Marijke Schnyder
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Respekt behandelt wurde. Wenn es nicht allzu absurd klingen würde, müsste man sagen, dass der Chef Angst hatte vor ihr.
    Absurd? Vielleicht. Aber wenn er seinen Bedenken nur den kleinsten Ruck gab, dann musste er sagen, dass es genau so war. Der große Chef hatte Angst vor Nore. Oder vor dem, was sie allen verheimlichte.
    Das gefiel Bärfuss nicht. Es war noch nie etwas Gutes dabei herausgekommen, wenn ein Chef Angst hatte vor seinen Untergebenen.
    Es war nun fast ein Jahr her, dass der Geheimdienst in den alten militärischen Bergfestungen im Simmental zu tun hatte. Es gab Dinge, die man dort unterbringen musste. Aus kunsthistorischen Gründen. Und wegen drohender Klimakatastrophen. Das leuchtete jedem zivilisierten Menschen ein. Ein Geheimdienst arbeite dem andern in die Hände, hatte der Chef erklärt, man müsse die großen Schätze der Menschheit für die Nachwelt erhalten und so weiter.
    Vielleicht war so etwas in der heutigen Welt nicht einmal etwas Besonderes. Man war vernetzt und man war global. Und Kunst verband die ganze Menschheit.
    Vielleicht war das ungefähr so wie mit seinem Sucrier. Wer ihn besuchte, lächelte, sobald er das alte Silbergefäß entdeckte. Und kurzum war man in einem lockeren Gespräch über Kunst und familiäre Begebenheiten, über Traditionen und nette Tanten. Wenn so etwas die Menschheit retten konnte, dann hatte Bärfuss ganz und gar nichts dagegen einzuwenden.
    Man hütete also in diesen Oberländer Bergen wunderbare Schätze, weil die Liebe zur Kunst keine Grenzen kannte. Aber warum gerade einbunkern? Das machte doch überhaupt keinen Sinn! Kunst musste man anschauen und genießen oder sich darüber aufregen können.
    Aber weshalb wegsperren?
    Die Tatsache, dass er etwas nicht wusste, weil diese verflixte Nore schwieg, wühlte ihn auf an diesem Morgen. Mehr als je zuvor. Und genauso ärgerlich war, dass der Chef ihm nie erklärt hatte, warum Nore Brand im Simmental nie wieder ermitteln durfte.
    Man schätzte ihn, das wusste Bärfuss. Der große Chef zog ihn oft zurate, doch die Aufnahme in seinen Dunstkreis war ihm verwehrt geblieben. Es kam vor, dass Bärfuss dies bedauerte, denn es hätte sein berufliches Leben sicher um die eine oder andere Annehmlichkeit bereichert.
    Seine Gedanken gingen zurück zu Nore Brand. Sie hatte ihm gegenüber in einer schwachen Minute das Trojanische Pferd erwähnt. Das hatte ihn irritiert. Zu Hause hatte er im Kleinen Brockhaus nachgeschlagen, was es damit auf sich hatte. Der Griechisch-Unterricht im Gymnasium lag weit zurück und der alte Lehrer hatte es eher mit der griechischen Grammatik gehabt und mit der Poesie der großen Dichterin Sappho. Die Heldenlegenden und Kriegsgeschichten hatte er zur Enttäuschung der pubertierenden Buben ausgelassen. Vielleicht, um sich auf diese Art heimlich an ihrer Disziplinlosigkeit zu rächen. Diese armen Lehrer. Was er im Brockhaus fand, war dann alles andere als beruhigend.
    Was hatte man da wirklich in den Berg hineinbugsiert?
    So oft hatte er versucht, Nore Brand zum Reden zu bringen.
    Doch sie stellte schon auf stur, wenn er in ihrer Gegenwart bloß nach geeigneten Worten suchte, mit der Frage rang. Sie gab ihm jeweils sogleich zu verstehen, wortlos natürlich, dass es nichts bringen würde. Es war ihm mit keiner List gelungen, ihr nur das Geringste zu dieser Sache zu entlocken. Es war zum Verzweifeln.
     
    Je länger sich Bastian Bärfuss an diesem unseligen Freitagmorgen Gedanken über diese Obersimmentaler Angelegenheit machte, umso klarer wurde ihm, dass mit dem Tod des Hoteldirektors der zweite Akt dieses unsäglichen Theaters um die Zarenkunst angefangen hatte.
    Warum ging einer im November in den Bergen wandern? In dem Alter! Der Kerl musste ziemlich weit über sechzig sein. War er etwa ein Gesundheitsfanatiker?
    Verflucht! Bärfuss brauchte viel zu viele Streichhölzer, bis der Tabak Feuer fing.
    An gewisse Dinge in seinem Beruf hatte er sich nie gewöhnt.
    Merkwürdig, dass er mit den Jahren immer schneller nervös wurde. Dabei hatte er mit dem Gegenteil gerechnet. Er hatte auf die große Gelassenheit gewartet, die sich mit den Jahren einfach so ergeben würde, sozusagen als Altersbonus, ein Geschenk der Natur. Aber dabei musste es sich um ein Ammenmärchen handeln. Er merkte nichts davon. Ganz im Gegenteil.
    Er registrierte zu seiner Überraschung ein feines Gefühl für die wirklich unangenehmen Dinge. Seine Sensibilität nahm zu, und die Haut der Seele wurde dünner und verletzlicher.
    Er
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