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Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Titel: Stoerfall - Nachrichten eines Tages
Autoren: Christa Wolf
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konzentrieren sich vermutlich darauf, dem Kern des Übels so nahe wie möglich zu kommen, ohne die Hypophyse zu verletzen. Wenn nämlich, hat die junge Schwester dich wissen lassen, bestimmte Teile des Gehirns beschädigt werden, können sogar Persönlichkeitsveränderungen vorkommen. Nette Aussichten, hast du gesagt, und ich habe dich grob gefragt, ob du denn an deiner Persönlichkeit so sehr hängen würdest. Gewohnheitssache, hast du gesagt. Ein Patient, der vorher friedfertig gewesen sei, werde plötzlich aggressiv und greife die Schwestern an. Also du siehst, hast du gesagt, so könnte man das Problem der Friedfertigkeit auch lösen: jedem Neugeborenen eine Elektrode einpflanzen. Ja, habe ich erwidert, schöne neue Welt. Das Vorderhirn ist übrigens nicht nur für dein zielgerichtetes Verhalten mitverantwortlich, es enthält auch die meisten Assoziationszentren. Beim Menschen das Bewußtsein. Ich habe mir sehr genaue und vorsichtigeInstrumente vorstellen müssen – kommt da überhaupt Metall in Frage? –, die geeignet sein könnten, den Ort, an dem dein Bewußtsein sich befindet, zu betasten –
    Für Gemüseanbau ist unser Boden allemal zu schwer. Lehmerde, hart, steinhart nach drei regenlosen Tagen, kaum zu bearbeiten. Ich habe es trotzdem versucht, den Boden mit Hacke und Harke zu zerkleinern, Beete anzulegen, in die ich mit dem Pflanzholz Rillen ziehen könnte, nicht zu tief und nicht zu flach, um in sie den braunen runden Sauerampfersamen für die Sauerampfersuppen, den winzigkleinen spitzen Schnittsalatsamen und die Spinatsaat auszustreuen, alles sehr sorgfältig und zornig, was ich daran gemerkt habe, daß ich meine Tätigkeiten mit halblautem Schimpfen begleitet habe, bis ich innehielt und mich, gleichfalls laut, gefragt habe: Warum das eigentlich?
    Weil sie uns nun auch noch die Lust am Schnittsalat und am Spinat genommen haben.
    Wer denn: Sie.
    Auf das Reststück unterm Apfelbaum kommt Gartenkresse. Sie »verlangt nach zarter Behandlung, damit die Vitamine A, C, D und E und das Jod weitestgehend erhalten bleiben«. Plötzlich habe ich mich fragen müssen, ob die Betreiber jener Arten von Technik, deren höllische Gefährlichkeit in ihrem Wesen liegt, jemals in ihrem Leben winzigste Samenkörner, die einem an den Fingerspitzen kleben bleiben, in die Erde gesenkt haben, um sie später aufgehenzu sehen und über Wochen, Monate hin das Wachstum der Pflanzen zu verfolgen. Mein Denkfehler ist mir gleich bewußt geworden, jedermann hat schon gehört oder gelesen, daß gerade angestrengt arbeitende Wissenschaftler oder Techniker häufig Entspannung bei der Gartenarbeit suchen. Oder gilt diese These nur für die Älteren, und ist sie in bezug auf die Jüngeren, diejenigen, die jetzt das Sagen haben, überholt? Ich habe mir vorgenommen, eine Liste derjenigen Tätigkeiten und Freuden anzufertigen, die jene Männer der Wissenschaft und Technik wahrscheinlich nicht kennen. Was soll daraus folgen? Um die Wahrheit zu sagen: Ich weiß es nicht. Ich habe mir einfach überlegt, ob verschiedene Abschnitte unseres Gehirns vielleicht aufeinander einwirken, dergestalt, daß einer Frau, die monatelang ihren Säugling stillt, eine Hemmung einer bestimmten Hirnpartie verbieten würde, mit Wort und Tat diejenigen neuen Techniken zu unterstützen, die ihre Milch vergiften können.
    Ich streiche um das Haus. Alle Fenster habe ich aufgerissen, nicht nur, damit die Wärme Eingang findet, auch, um in jedem Fall das Telefon zu hören. Die Johannisbeersträucher und die Kirschbäume, die wir dieses Jahr neu gesetzt haben, sind jedenfalls angekommen. Der Grassamen ist aufgegangen, unser Wunsch nach einer großen zusammenhängenden Rasenfläche würde in Erfüllung gehen. Die Malvenpflanzen an der Hauswand haben einen Schuß getan, und sogar zwei der Dahlien haben die Erdrindedurchstoßen, mit ihren zarten Blattspitzen. Brav, habe ich mich sagen hören. Bravbrav. An euch soll es nicht liegen. Ihr macht das Eure.
    Der strahlende Himmel. Das kann man nun auch nicht mehr denken. Auf Bestrahlung können wir aufgrund des histologischen Befunds verzichten, wird der Professor zu dir sagen, aber so weit sind wir noch lange nicht. Jetzt sind wir erst so weit, uns derart glückliche Abläufe dringlichst zu wünschen.
    Es ist noch viel zu früh für den Anruf gewesen, auf den ich gewartet habe, trotzdem bin ich ins Haus gerannt, als das Telefon klingelte. Die Frauenstimme habe ich erkannt, obwohl wir nicht oft miteinander telefonieren. Sie wolle
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