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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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hatte sie keine zu schreiben, aber eine Tageszeitung brauchte sie. Ob das Brammer Tageblatt schon was von der großen Untersuchung drin hatte? Sie schlenderte über den Marktplatz.
    Schon hatte sie ein Fünfzig-Pfennig-Stück aus ihrer ledernen Umhängetasche gekramt und wollte auf den Kiosk zugehen, als sie an der Schmalseite des Rathauses, wo der Backstein besonders verwittert war, eine Gedenktafel aus weißgrauem Marmor entdeckte. Eine fünf Zeilen lange Inschrift, die einzelnen Buchstaben mit schwärzlichem Blattgold ausgelegt. Unter der Tafel eine schreibtischgroße bläuliche Platte, Basalt wohl, mit einem eingemeißelten Kreuz. Sie trat näher und hoffte, ihre guten Lateinkenntnisse bestätigt zu finden.
    Aber das war kein Latein, das war Plattdeutsch. Außer dem Namen SOPHIE konnte sie keines der Worte richtig deuten. Das wurmte sie. Sie trat näher heran, stand jetzt mit beiden Füßen auf dem bläulichen Stein und wollte…
    Im selben Augenblick schrie der Zeitungshändler aus seinem Kiosk: „Fräulein, nicht auf den Stein treten!“
    Katja fuhr herum, starrte den verhutzelten, weißhaarigen Alten an und war verwirrt.
    „An dieser Stelle ist 1784 die Gräfin Sophie von einem herabstürzenden Ziegel erschlagen worden.“
    Katja faßte sich wieder und schaute nach oben. Da sah alles ganz solide aus. „Ich bin keine Gräfin – leider.“
    „Das ist der berühmte Unglücksstein von Bramme, daß weiß man doch! Wer da auf die Steinplatte tritt, der wird vom Unglück verfolgt. Alle Leute machen einen großen Bogen drumherum.“
    Katja lachte. Mittelalter in Bramme.
    „Lachen Sie nur! Im April ist eine Hamburgerin draufgetreten, so alt wie Sie, obwohl ich sie gewarnt hatte. Ausgelacht hat sie mich. Drei Tage später war sie tot – beim Baden im Brammer Meer ertrunken…“
    Wurde ihr ein bißchen mulmig? Ängstlich schob Katja den Gedanken beiseite. Ein wenig hastig ging sie auf den Kiosk zu. „Ein Brammer Tageblatt bitte!“ Sie warf ihr Geldstück auf die abgegriffene Glasplatte.
    Der alte Mann reichte ihr die gefaltete Zeitung, gab das Wechselgeld heraus und fuhr unbeirrt fort: „Im vorigen Jahr hat auch eine junge Frau auf dem Stein gestanden und sich über mich lustig gemacht. Frauke hieß sie. Sie war gerade erst nach Bramme gekommen, als Krankenschwester. Zwei Wochen später ist sie in Hannover ermordet worden.“
    „Wie schauerlich!“ Katja bemühte sich, spöttisch zu sein.
    „Da ist was dran; passen Sie man auf!“
    Katja nahm die Zeitung, nickte dem kauzigen Alten zu und nahm Kurs auf den Harm-Clüver-Brunnen. Der Unglücksstein… So ein Unsinn! Aber ein gewisses Frösteln ließ sich kaum unterdrücken. Als sie sich umwandte und aufpaßte, bemerkte sie, daß die Brammer tatsächlich einen kleinen Bogen um den basaltblauen Stein machten. Blöd!
    Sie steckte die Zeitung ein, ohne die Schlagzeilen zu überfliegen, tunkte die freie Hand kurz in die untere Schale des Brunnens, lenkte ihre Schritte auf den leicht barocken Block der Deutschen Bank zu und entdeckte links daneben das vielgerühmte Hotel-Restaurant Zum Wespennest. Ein zweistöckiger Fachwerkbau, ganz auf altdeutsch gemacht. Dunkelbraun gestrichen die Rahmenwerkteile, weiß getüncht die Flächen dazwischen. Sehr hübsch die Fächerrosetten im ersten Stockwerk.
    Katja war auf Studentenlokale eingestellt, und als sie jetzt den mittelalterlich-fürstlich gehaltenen Speiseraum betrat, kam sie sich wie ein schüchternes kleines Mädchen vor. An den Tischen Geschäftsleute und Honoratioren, für die ein Zwanzig-Mark-Gedeck nur ein Klacks war. Apotheker, Zahnärzte, Supermarktbesitzer, Verkaufsleiter, Stadträte, Banker, Manager. Und diese schwachsinnigen Schmarotzer sollte sie nun in den nächsten Wochen interviewen, immer ein freundliches Wort auf den Lippen und ein aufmunterndes Lächeln im Gesicht? Sie würde es tun. Dabei hätte sie die ganze Brut am liebsten reihenweise geohrfeigt. Die Beate Klarsfeld von Bramme. Ganz schön schizophren. Sie fand sich interessant.
    Sie ließ den Haß unter dem Zuckerguß ihrer Selbstironie verschwinden und suchte nach Biebusch. Der hatte sich natürlich in diesem protzigen Schuppen ein Zimmer gemietet und speiste auch hier. Wo anders hätte ein Elitemensch wie er auch Quartier nehmen sollen?
    Hinten am Kamin hockte er. Ganz vertieft in Tizians Bacchanal, das als etwas düster geratene Kopie zwischen zwei Fenstern hing. Die Denkerstirn in Falten gelegt. Mit den Fingern der rechten Hand juckte er in
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