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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Bramme zum Zahnarzt zu müssen. Die hatten vielleicht noch Bohrgeräte mit Fußantrieb.
    Zwei alte Damen kamen vorüber, schlurften, tasteten mit den Schuhspitzen erst die Steine ab, ehe sie den nächsten Schritt wagten. Wie mochten sie vor 22 Jahren ausgesehen haben? Katja mühte sich im ein passendes Bild. Die eine sah nach Hebamme aus. Dick, mütterlich, resolut. Vielleicht war sie bei Katjas Geburt dabei gewesen?
    Oder hatte ihr, als Nachbarin vielleicht, eine Puppe geschenkt? Wieder in der Heimat… Katja genoß ihre sentimentalen Gefühle. Wie viele Soziologen, die Tag für Tag die Welt sezieren müssen, liebte sie insgeheim die heile Welt mit ihren Schnulzen.
    Sie nahm ihren Koffer hoch, war irgendwie erstaunt, daß noch immer kein Pferdefuhrwerk vorüberrasselte, und ging auf die Pension zu. Die Fenster alle geschlossen, ein bißchen ergraute Gardinen dahinter. Keine Blumen. Kein Mensch zu sehen. Verdammtes Kopfsteinpflaster! Sie knickte dauernd um, mal war’s der linke Fuß, mal der rechte. Brammer Montmartre. Es roch nach Urin. Sie schwitzte ein wenig.
    Eine Treppe mit fünf ausgetretenen Stufen. Auf einer kleinen Milchglasscheibe stand das Wort Nachtglocke. Dahinter brannte noch immer die schwache Glühbirne. Man sah’s deutlich, denn Sonnenschein gab’s hier nicht. Katja drückte auf den Klingelknopf. Sekunden später stand Frau Meyerdierks in der Tür.
    Eine waschechte Rubens-Figur. Katja hatte im vorigen Jahr im Prado den Bauerntanz von Rubens gesehen, da war ihr Frau Meyerdierks zum erstenmal begegnet. Sie kam ihr jedenfalls außerordentlich bekannt vor. Irgendwie vertraut.
    „Ich bin Katja Marciniak…“
    Frau Meyerdierks musterte sie. Die auberginenfarbene Kordhose schien ihr weniger zu gefallen, der maisgelbe Pulli auch nicht, von den langen Haaren ganz zu schweigen. Fehlte bloß noch, daß sie ihr die Arme nach Einstichstellen absuchte.
    „Herr Professor Biebusch hat hier ein Zimmer für mich reservieren lassen.“
    „Ja, entschuldigen Sie!“ Ihr Gesicht hellte sich auf. „Natürlich, natürlich!“ Sie schüttelte Katja die Hand. „Ich bin Frau Meyerdierks. Wissen Sie, meine Kopfschmerzen… Bitte sehr, hier herein, im ersten Stock, ein schönes Zimmer… Na ja, schön… Wir stehen ja auf der Abbruchliste. Altstadtsanierung; da investiert doch keiner mehr was. Gehen Sie mal voran. Gleich die Tür an der Treppe. Die Toilette ist dann hinten links.“
    Katja stieg die Treppe hinauf. Eine weinrote Tapete mit silbernen Ranken darauf, die Decke rauchgebräunt wie oben in Berliner Doppeldeckerbussen. So ein bißchen Kleinstadtpuff. Der nächste Herr, dieselbe Dame. Ein fadenscheiniger Teppich; mit Reißnägeln angeheftet der Stadtplan von Bramme.
    Frau Meyerdierks redete und redete, war kein bißchen norddeutsch. Ihr Mann arbeite zwar bei Buth in der Fertighausabteilung, aber von seinem Einkommen konnten sie nicht leben. Daher noch die Pension, die ganz allein in ihr Ressort fiel. Und 250 Mark im Monat für das Zimmer waren doch sicher nicht zuviel? Mit Frühstück natürlich…
    Katja müsse entschuldigen, daß sie im Augenblick ein wenig tütelig sei, aber ihr Sohn liege in Perth, in Australien, schwerverletzt im Krankenhaus und man wisse nicht, ob er durchkomme.
    „Er baut da am Stadtrand Fertighäuser, das hat er hier bei Buth gelernt. Da ist in der vorigen Woche ein Seil gerissen, und ein herabstürzendes Bauelement hat ihn getroffen. Jetzt warte ich jeden Morgen auf einen Brief von ihm.“
    „Das tut mir aber leid“, sagte Katja höflich, vielleicht auch mit ein wenig Mitleid. „Es wird schon werden!“ Was kann man da schon sagen?
    Frau Meyerdierks stieß die Tür zu ihrem Zimmer auf. Katja erschrak.
    Eine Tapete von einem Braun, mit dem man in Atlanten den Mount Everest kennzeichnete. Und das alles in einem Rhombenmuster, das pubertäre Knaben verwendeten, um das weibliche Geschlechtsorgan darzustellen. Dazu Versandhausmöbel in einem merkwürdigen Palisanderton. Vor dem Fenster ein schmaler Tisch, dem man schon ansah, daß er wacklig war. Auf dem Bett eine lindgrüne Steppdecke, deren Flecken auf Anhieb gar nicht zu zählen waren. Wie mußte da erst die Matratze aussehen. Katja drehte sich der Magen um. Gegenüber vom Bett, also links vom Fenster, ein kombinierter Wäsche- und Kleiderschrank. Hinter dem Bett die Zentralheizung, dann ein Waschbecken mit ein paar Kunststoffkacheln und einem elektrischen Heißwasserspeicher darunter.
    Frau Meyerdierks, die Katjas Blicken gefolgt
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