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Der erpresste Erpresser

Der erpresste Erpresser

Titel: Der erpresste Erpresser
Autoren: Stefan Wolf
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1. Der Typ mit der Blüte
     
    Mitte Juni erklärte Klößchen, er wolle
nun endlich was tun für seine Ohren.
    Tim mißverstand ihn zunächst, dachte an
einen besonders ohrenfreundlichen Waschlappen, eine Ohrenpflege-Creme oder
einen Spatel zum Säubern.
    Aber Klößchen meinte das anders: „Erstens
kaufe ich mir einen Walkman zum Einrieseln von Kassetten-Musik. Zweitens dicke,
große Kopfhörer, die ich art mein Kofferradio anstöpseln kann. Mit denen
erlausche ich auch nachts noch Hörspiele, Pop-Konzerte und was sonst so durch
den Äther anrauscht.“
    Tim sah keine Gefahr von
Geräuschbelästigurig in ihrer engen Bude ABLERNEST und billigte das Vorhaben.
    So kam es, daß sie an diesem
hitzeheißen Nachmittag durch die schwitzende Innenstadt radelten. Mit dem
Kaufziel: „Zwei-Ohren-Großmärkt-Supertech“, weil dort die Auswahl am größten
war.
    Außerdem wollten sie ihren Mitschüler
Markus Wagner treffen, der Experte ( Fachmann) war für Kopfhörer.
    Markus wollte Klößchen beraten.
    Der Himmel war mehr blau als grau, die
Luft flimmerte.
    An der Ecke Fußacker-Leppel-Straße
stieß Klößchen einen ellenlangen Fluch durch die Zähne und trat energisch den
Rücktritt.
    „Wenn ich jetzt — puhhh — nicht sofort
ein Riesen-Schoko-Eis kriege, dörre ich innerlich aus.“
    Sie hielten vor dem Eis-Café AMALFI,
das bekannt ist für seine 32 Gelato-Sorten mit oder ohne Sahne.
    „Du auch ‘ne Portion?“ fragte Klößchen
und ließ seine Tretmühle lieblos auf den Gehsteig fallen.
    Tim schüttelte den Kopf.
    „Ich lade dich ein. Kennst doch meine
großzügige Güte.“
    Tim verkniff sich das Grinsen.
    „Danke, Willi. Wirklich nicht. Ich bin
ja nicht so für süß.“
    „Gaby ausgenommen“, feixte Klößchen und
rannte ins AMALFI.
    Tim setzte einen Fuß auf die Bordkante
und blieb auf seinem Rennrad sitzen.
    Es war erst kurz nach dem Mittagessen.
Für nachher waren sie mit Karl und Gaby verabredet. Tim massierte seinen
rechten muskulösen Oberarm, wo er sich eine Sehne gezerrt hatte.
    Ein Taxi rollte neben ihm vorbei,
aufdringlich dicht, und hielt im Halte-Verbot vor der Ecke.
    Tim sah den Fahrgast durchs
Rückfenster. Gestikulierend warf der Mann die Arme in die Luft.
    Jetzt stieg er aus, ließ den Schlag
offen und hielt anklagend einen 100-DM-Schein in die Luft.
    Drüben wuchs der Chauffeur neben der
Fahrertür empor, überragte indes seinen Wagen mangels Körpergröße nur um knapp
einen Kopf.
    „Tut mir ja leid“, rief er mit
verärgerter Miene. „Aber ich habe gerade erst angefangen und nur kleines
Kleingeld im Geldbeutel. Ich kann wirklich nicht wechseln.“
    Der Fahrgast schwenkte seinen
Hunderter. „Ist doch lächerlich! Jeder Chauffeur kann einen Hunderter wechseln.
Wieso Sie nicht?“
    „Hab’s doch eben erklärt“, plärrte der
Fahrer zurück.
    Er hatte einen dicken, roten Kopf mit
Sommersprossen und rötliches Haar.
    Der Fahrgast schnaubte. Eine
verächtliche Geste folgte. Der Kopf drehte sich über dem Kragen wie der
Geschützturm eines Panzers. Dann schoß der Mensch mit Stolperschritt auf ein
altes Mütterchen zu.
    Es war wirklich alt, klein und
hutzelig. Schwarzer Strohhut und ausgetretene Schuhe.
    „Entschuldigung, meine Dame“, sprach
der Mann sie an. „Könnten Sie uns vielleicht den Schein wechseln?“
    Sie lächelte und hatte eine Hand
hinters Ohr gelegt.
    „Ich bin selber fremd hier. Kenne mich
gar nicht aus. Ich bin aus Leipzig und besuche meine Nichte Irene. Außerdem höre
ich etwas schlecht. Und mein Hörgerät ist kaputt.“
    Sie ging weiter.
    In diesem Moment trat Klößchen hinzu.
    Rechts einen Plastikbecher mit sechs
bis acht Eiskugeln, links hielt er sein pralles Portemonnaie.
    460 DM waren drin — das Ergebnis einer
Sparschwein-Notschlachtung. Klößchen rechnete mit einer größeren Ausgabe. Er
hatte gehört, was der Mann wollte.
    „Hundert Mark? Kein Problem“, prahlte
er. „Wollen Sie’s in Zehnern oder Zwanzigern?“

    Der Fahrgast stutzte, drehte sich dann
um zum Chauffeur. „Wieviel macht es?“
    „Zwölf-achtzig. Einen Zwanziger kann
ich wechseln.“ Klößchen blickte vom Portemonnaie zum Eisbecher und hätte eine
dritte Hand gebraucht.
    Tim stieg vom Rad, aber nicht nur, um
beim Wechseln behilflich zu sein.
    „Ist nett von dir“, sagte der Mann zu
Klößchen, „man kommt sich ja richtig dumm vor — nur mit großem Geld in der Tasche.
Dabei: Was ist heutzutage ein Hunderter? Doch nicht mehr ein Vermögen wie
früher.“
    Tim hatte sein Rad
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