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Der erpresste Erpresser

Der erpresste Erpresser

Titel: Der erpresste Erpresser
Autoren: Stefan Wolf
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Dachrinne hinab in den Boden führte, sah
stabil aus. Und nicht zuletzt wegen seiner Kletterkünste hatte man Tim früher
Tarzan genannt.
    Affengewandt kletterte er hinauf: Haken,
Regenrohr, suchender Griff, Dreier-Sicherung — nur eine Hand oder ein Fuß
führte weiter.
    Das Laub raschelte. Klößchen, vorn an
der Straße, sah zu und ächzte.
    Tim erreichte den Balkon und schwang
sich leise hinauf.
    Ein alter Gartenstuhl stand hier, daneben
ein Schemel, zum Hochlegen der Füße. Ein Stapel Journale über Amateurfunk und
Autos. Offenbar hatte Markus die Zeitschriften aussortiert.
    Tim trat ans Fenster: Glas von oben bis
unten, ungehinderter Blick in das Zimmer.
    Tim und seine Freunde — wie gesagt —
kannten es. Jetzt herrschte dort der übliche Zustand: mildes Chaos. Zwei neue
Auto-Poster hingen an den Wänden. Der Vorhang war — wie immer — zur Seite
gezogen. Tim konnte das Bett sehen.
    Es war leer. Unbenutzt und leer.
    Mein Gefühl! dachte er. Das täuscht
mich doch selten. Klößchen blickte fragend, als Tim zurückkam. „Nun? Pennt er
mit 43 Grad Fieber? Oder liegt er in seinem Blut?“
    „Hör auf mit diesem goldigen Humor! Es
ist nicht zum Lachen. Markus ist nicht da, liegt nicht in seinem Bett und ist auch
nicht auf dem Klo. Denn das Bett ist ordentlich gemacht — halbwegs ordentlich,
wie Markus es vermutlich hinterläßt, wenn er morgens abschwirrt. Ich weiß, daß
er’s selber machen muß. Die Zugehfrau kommt nur zweimal die Woche.“
    „Was hat das zu bedeuten?“
    „Jedenfalls eins: Stiefvater Brochmann
lügt.“
    „Hat er den Markus also doch...“
    „Langsam, Willi! Bevor wir solchen
Verdacht äußern, müssen wir die Situation abklopfen. Allerdings — grundsätzlich
ist höchste Wachsamkeit angebracht. Ich höre und lese immer wieder von
Rabeneltern, die ihre Kinder mißhandeln. Bis hin zum tödlichen Ausgang. Es ist
nun mal so: Willst du Autofahren, brauchst du einen Führerschein, willst du
jagen, brauchst du einen Jagdschein, willst du dich bewaffnen, brauchst du
einen Waffenschein. Nur für die Aufzucht von Kindern und Tieren ist keinerlei
Befähigung vorgeschrieben. Da kann jeder Idiot mitmachen und jeder Brutalo, der
Prügeln für ein taugliches Mittel hält.“
    „Wie Brochmann“, nickte Klößchen.
    „Wir wissen fast nichts über ihn. Aber
von Markus weiß ich, wer hier die Medikamente verordnet bei Krankheit. Der
Hausarzt ist eine Hausärztin. Markus erwähnte sie, und den Namen habe ich mir
gemerkt, weil er so ulkig ist. Dr. Annerose Milzwinkel.“
    „Hähähhihihihohohoh.“
    „Hoffentlich lachen wir noch, nachdem
wir bei ihr waren.“

4. Der pfiffige Wilhelm
     
    Beim Zweigpostamt Pariser Straße sahen
sie ins Telefonbuch. Dr. Milzwinkels Praxis war in der Nähe.
    Auf dem Hinweg erzählte Tim, was Markus
ihm gebeichtet hatte im Zusammenhang mit der Ärztin.
    „Daran, daß Markus einmal die Woche
fehlt, Willi, haben wir uns ja gewöhnt. Bei den Paukern gilt er als leidend.
Sag’s nicht weiter, aber die Sache mit seinem Asthma (anfallsweiser Atemnot) ist erstunken und erlogen. Markus kriegt genauso gut Luft wie unsereins. Aber
er schwänzt eben gern, treibt sich dann in der Stadt rum und flippert an den
Spielautomaten.“
    „Erlogen?“ staunte Klößchen. „Er hat
doch jedesmal ein ärztliches Attest, eine Bescheinigung über seine Krankheit.“
    „Ist gefälscht. Er hat bei Dr. Milzwinkel
einen ganzen Rezeptblock geklaut. Mit Stempel und allem. Von der Zugehfrau läßt
er sich dann die Entschuldigung schreiben — wegen der Schrift kann er’s nicht
selbst machen. Die Zugehfrau heißt Pritzklinkel. Das kritzelt sie so
undeutlich, daß die Pauker nur Bahnhof lesen und Milzwinkel denken. So gesehen,
ist es keine gefälschte Unterschrift, nur ein irreführendes Formular, auf dem
die Entschuldigung steht.“
    „Stark!“
    „Ich finde es kriminell. Das habe ich
ihm auch gesagt. Aber er meint, es schade ja niemandem außer ihm selbst.“
    „Manchmal redet er schwach.“
    „Sehr schwach! Regelrecht bekloppt. Er
hat den verhängnisvollen Trend, sich selbst zu schaden. Deshalb braucht er
Leute wie uns, die sich um ihn kümmern. Von seinem Stiefvater kommt nichts.“
    „Wenn wir jetzt links abbiegen“, sagte
Klößchen, „sind wir am Quappen-Brunnen. Ob Karl und Gaby schon warten?“
Verblüfft gestand Tim sich ein: Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht
seit der Begegnung mit Brochmann. An Gaby nicht gedacht? Seit fast 40 Minuten!
Gab’s das?
    Er zuckte
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