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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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war, sagte sofort: „Schalten Sie bitte das Gerät wieder ab, wenn Sie sich gewaschen haben, das kostet sonst irrsinnig viel Strom.“
    „Selbstverständlich…“
    Blieben noch zwei senfgelbe Sessel übrig, die Herr Meyerdierks wahrscheinlich im Sperrmüll gefunden hatte, und ein Stuhl, der offenbar aus dem Brammer Rathaus stammte. Die hohe, kunstvoll geschnitzte Lehne ließ darauf schließen. Vielleicht hatte sich Opa Meyerdierks als Ratsherr um Bramme verdient gemacht. Die aufgewölbten Dielen bedeckte ein anthrazitfarbener Lappen, den Frau Meyerdierks als Teppich bezeichnete und so schön fand, daß sie Katja um seine pflegliche Behandlung bat.
    Katja stellte ihren Koffer neben das Waschbecken.
    „Gefällt’s Ihnen?“ fragte Frau Meyerdierks.
    „Aber ja, ich glaub schon, daß ich mich hier wohl fühle.“ Es wäre höchst unklug gewesen, das Gegenteil zu verkünden. „Wissen Sie, Frau Meyerdierks, ich…“
    Ein Schatten, ein längliches Etwas war unters Bett gehuscht. Katja erstarrte, wollte aufschreien, verschluckte den Schrei. Ihr Magen krampfte sich zusammen, sie zitterte fast.
    „Ist das… war das… gibt’s hier Ratten?“
    Frau Meyerdierks lachte. „Das war nur Alfons Mümmel.“
    „Alfons…?“
    „Unser russischer Zwerghase.“ Sie bückte sich. „Komm, Alfons, ich hab Salat… Komm, mein Kleiner!“
    Sie nahm den Hasen auf den Arm, und Katja streichelte ihn. Süß.
    „Dann werd ich Sie man in Ruhe auspacken lassen. Wenn Sie noch einen Wunsch haben, Fräulein Marciniak… Ach, eh ich’s vergesse: der Herr Professor Biebusch hat einen Zettel für Sie geschrieben; sehen Sie mal auf dem Tisch da.“
    „Ah, danke.“ Katja ging hinüber, nahm den Zettel und faltete ihn auseinander.
     
    Liebes Fräulein Marciniak!
    Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt. Sie finden mich ab 13 Uhr im Wespennest am Markt. Beim Essen können wir dann alles weitere besprechen.
    Gruß, Biebusch
     
    „Sie wollen unsere Stadt mal so richtig untersuchen?“ fragte Frau Meyerdierks.
    „Ja, zum sechshundertjährigen Bestehen im nächsten Jahr. Eine Hälfte bezahlt die Stadt, die andere die Stiftung Volkswagenwerk. Eine ganz hübsche Sache…“
    „Kann ich mir kaum vorstellen, daß jemand Interesse daran hat, was hier bei uns in Bramme passiert.“
    „Für die Stadt- und die Gemeindesoziologie ist es schon wichtig. Berufsstruktur, geographische Herkunft der Bevölkerung, Ortsverbundenheit und Umweltverflechtung, soziale Unterschiede in den einzelnen Stadtteilen, soziale Schichtung der Bevölkerung, Schulbildung und berufliche Mobilität, Parteien, Vereine, soziale Beziehungen – ein ganzer Katalog von Fragen.“
    Frau Meyerdierks ließ Alfons Mümmel auf den Boden hinab; er flitzte ins Treppenhaus. „Na, dann viel Erfolg!“ Sie wandte sich zur Tür. „Wenn Sie noch einen Wunsch haben… Ach, eh ich’s vergesse: Da hat gestern jemand angerufen und nach Ihnen gefragt.“
    „Nach mir?“ Katja war erstaunt. „Wer denn?“
    „Ein Mann. Seinen Namen hat er nicht genannt. Er wollte nur wissen, wann Sie hier ankommen.“
    Komisch. Von ihren Freunden kannte niemand die Adresse. „Herr Biebusch vielleicht?“
    „Nein, den kenne ich doch. Der war doch selber hier.“
    „Hm… Jünger oder älter.“
    „Wie soll ich das wissen – am Telefon?“
    Da hatte sie recht. „Hier aus Bramme?“
    „Das hat er nicht gesagt, aber so gut wie die Verbindung war, da…“
    „Hat er sonst noch was gesagt?“
    „Nein, nicht daß ich wüßte.“
    Katja blickte in den Spiegel. Ihr linkes Augenlid zuckte etwas. „Fahr überall hin, aber nicht nach Bramme… Ach, Unsinn! Aber wer konnte ein Interesse an ihr haben?“
    „Der wird sich schon wieder melden“, meinte Frau Meyerdierks und verschwand endgültig.
    Katja war allein. Abgeschlossen von der Welt, wie in einer Gefängniszelle. Verurteilt zu zweihundert Tagen Bramme. Sie stand mitten im Zimmer, fror und rührte sich nicht. Wozu das alles, wozu? Sie fühlte sich schlaff wie nach einem Fieberanfall. Allein in Bramme, alles so fremd, so ungewiß. Fremde Menschen voller Aggressionen, kalt, erbarmungslos. Und Biebusch stellte so unheimlich hohe Anforderungen, da hatten schon so viele versagt. Leute, die zehnmal besser waren als sie selber. Sie warf sich aufs Bett. Wenn sie doch nur weinen könnte. Jetzt ein Kuß, jetzt eine Hand, die streichelte… Nichts.
    Wozu die Studie, wozu die Diplomarbeit? Irgendwo liegen und schlafen, immer nur schlafen, nie wieder aufwachen. Immer
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