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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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sie war jung, sie war hübsch. Und dann Bramme. Ungehobelte, gierige Bauern! Sie hätte absagen sollen. Es gab schließlich noch andere Themen für eine Diplomarbeit.
    Sie sah ihre Großmutter. Hohlwangig, ausgemergelt im Sterbezimmer des Hospitals.
    Was sagst du, Kind? Wo willst du hin?
    Nach Bramme.
    Bramme?
    Ja, ich muß. Sonst…
    Geh nicht hin.
    Wieso?
    Die Stadt mag uns nicht. Die haßt uns.
    Ach, das gibt’s doch nicht! Eine Stadt – das ist doch kein einzelnes Wesen, das ist doch ganz was anderes – Steine, Häuser, Straßen. Was soll uns da hassen?
    Alles. Einfach alles. Das ist wie ein Körper – der stößt alles ab, was nicht zu ihm paßt. Wir sind damals zum zweitenmal geflüchtet. Bramme und Marciniak, das geht nicht.
    Ich will ja nicht für immer hin.
    Trotzdem. Bleib hier.
    Ich muß endlich meine Diplomarbeit anfangen.
    Ich bitte dich!
    Keine Angst, ich besuch dich ja regelmäßig.
    Bis dahin … Ich hab solche Angst um dich! Fahr überall hin, aber nicht nach Bramme!
    Warum denn nicht, in Gottes Namen?
    Hol die Schwester, bitte – schnell!
    Das war am Sonntag, am Mittwoch war sie gestorben. Sanft entschlafen, hatte die Stationsschwester gesagt… Katja hatte vorher noch einmal mit ihr gesprochen, am Dienstag zur üblichen Zeit, aber nicht gewagt, die Stadt zu erwähnen. Wirre Assoziationen einer Sterbenden. Alles Humbug.
    Es ging ein wenig bergauf. Die Landschaft veränderte sich. Ein lichter Kiefernwald, ein Nichts gegen den Grunewald, einige mit Heidekraut überzogene Lichtungen, hin und wieder ein Wacholderbusch. Offensichtlich ein Flugsandgebiet; eine Düne, im Laufe der Jahrtausende aus der Brammeniederung ausgeweht.
    Nach einer scharfen Linkskurve konnte sie auf die Stadt hinuntersehen. Ein Meer aus ziegelroten Dächern und darin wie Klippen die Türme. Rathaus, Polizeihaus, Bahnhof, Postamt und Matthäikirche. Sie hatte zu Hause den Stadtplan studiert. Zwischen den Klippen die Hochhäuser, Quader, wie riesige Eisberge. Im Südwesten eine Trabantenstadt, alles rote Backsteinburgen. Das konnte Barkhausen sein. Links vom Bahnhof das Industriegelände. Am höchsten Schornstein stand vertikal ein Firmenname: BUTH KG. Zwei Hubschrauber zogen vorbei. Nicht die Spur einer Dunstglocke. Sie kam auf die Bundesstraße, passierte das Ortsschild, war nun wirklich in Bramme.
    Sie registrierte wider Erwarten eine gewisse Fröhlichkeit, fast einen Rauschzustand. So erstaunlich es war, die Stadt gefiel ihr auf einmal. Endlich raus aus der Steinwüste, keine Mauer mehr, kein Todesstreifen, kein Stacheldraht. Eine Stadt wie aus dem Märchenbuch, sauber, übersichtlich, harmonisch, von einer herben Schönheit, zumal wenn die Sonne schien. Ein Hauch Mittelalter noch… Katja fühlte sich beschwingt; übermütig variierte sie Mörike:
     
    Und welch Gefühl entzückter Stärke,
    Indem mein Sinn sich frisch nach Bramme lenkt.
    Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt,
    Fühl ich mir Mut zu meinem wissenschaftlich Werke.
    Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
    Der Genius jauchzt in mir…
     
    Über Mörike hatte sie ihren Abituraufsatz geschrieben. Eduard Mörike, 1804 – 1875, An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang. Nun, es war Sommer und fast schon Mittag, aber dennoch… Mörike – das hörte sich nach Möhre an; doch Möhren oder Mohrrüben hießen hier in Bramme Wurzeln. Das wußte sie von Biebusch, der aus dieser Gegend kam.
    Sie merkte, daß sie ein bißchen überdreht war. Die Feier gestern, die Kontrollen, die Fahrt. Und man konnte ja nicht jeden Tag Valium oder Librium schlucken.
    Sie näherte sich der Innenstadt. Der Verkehr wurde dichter. Die ersten Geschäftsstraßen; doch auch hier auffallend niedrige Häuser. Offensichtlich hatte man früher wegen des morastigen Untergrundes nicht höher bauen können.
    Irgendwo links mußte jetzt die Knochenhauergasse abgehen, das hatte sie sich vorhin im Rasthaus an Hand eines alten Stadtplans eingeprägt. Biebusch hatte ihn bei seinen ersten Kontaktgesprächen mitgehen lassen. Brammermoorer Heerstraße bis über den Fluß, dann links, Pension Meyerdierks, Knochenhauergasse 11. Aber sie sah nicht viel, denn vor ihr bummelte ein blauer Lieferwagen vom Brammer Tageblatt die Straße entlang.
    Da – der wilhelminische Backsteinkasten der Stadtbibliothek; ihr nächster Orientierungspunkt. Nicht zu glauben; es gab also tatsächlich schon Brammer, die richtig lesen konnten. Wie sie Biebusch kannte, hatte er schon in den Karteikästen nachgesehen, ob sie

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