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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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seine Werke angeschafft hatten. Das machte er »in jeder Buchhandlung und jeder Bibliothek, die er entdeckte. Prof. Dr. Bernhard Biebusch, Grundlegende Probleme der sozialwissenschaftlichen Methodologie, Berlin 1969, 335 Seiten, 35,80 DM.
    Hinter der Bibliothek der Fluß. Nicht viel breiter als die Spree an der Kongreßhalle. Zwei Jungen paddelten in einem gelben Schlauchboot zum Anleger hinüber. Eine schöne Brühe. Ob man noch darin baden konnte?
    Gleich hinter der Brücke auf der linken Seite, in die Wallanlagen hineinragend, das Harm-Clüver-Theater, die bekannte Freilichtbühne. Das Repertoire? Sicherlich nur Niederdeutsches wie De billige Grootmudder oder so. Höchstens noch Im Weißen Rößl. Auf plattdeutsch vermutlich.
    Und nun zweihundert Tage in Bramme. Besuchen Sie Bramme – wir garantieren Ihnen ungestörte Langeweile. Vergessen Sie Ihren Streß, werden Sie stumpfsinnig. Blieb nur die Arbeit. Biebusch würde sich freuen. Außer einer Eins-Minus für die Diplomarbeit war von Bramme nicht viel zu erwarten. Oder? Höchstens mal ein Ausflug nach Bremen oder Worpswede, vielleicht noch Hamburg. Den Mann fürs Leben ganz bestimmt nicht. Wenn sie die Brammer Burschen so sah, klobig, brav und bieder, war nicht mal an eine gelegentliche Befriedigung kreatürlicher Bedürfnisse zu denken… Oder? Vielleicht war’s mit denen gerade reizvoll?
    Verdammt, nun hatte sie sich doch falsch eingeordnet! Da lag linkerhand die Knochenhauergasse in voller Schönheit, aber sie durfte nicht nach links abbiegen. Was blieb ihr weiter übrig, als geradeaus weiterzufahren. Bis zum Bahnhof ging es noch; dann hatte sie vollends die Orientierung verloren. Bramme als Labyrinth, es war nicht zu fassen. Sie rollte auf eine Tankstelle zu und hielt.
    „Bitte volltanken.“ Nur so zu fragen, war ihr peinlich.
    „Für Sie tu ich alles!“
    Schon der erste Brammer flirtete mit ihr. Na bitte. Aber kein Wunder, wenn sie sich die Brammer Mädchen ansah. Im Normfall offenbar drall, rosig und provinziell, nach dem zu urteilen, was sie bisher gesehen hatte. Und die Kleidung erst, langweilig und trist. Da war sie als Einäugige ja Königin. Wie die Monteure drüben an der Hebebühne sie anstarrten… Das konnte ja heiter werden.
    Der Tankwart, blond und blauäugig, erklärte ihr den Weg zur Knochenhauergasse. Es ging so umständlich und schleppend, daß sie’s gleich kapierte. Er hatte ihr Berliner Nummernschild gesehen und wollte ihr mal die Stadt zeigen. Am besten abends.
    „Ich komme öfter hier vorbei…“
    Sie fuhr weiter, landete, von den vielen Einbahnstraßen verwirrt, am Wallgraben und fand dann schließlich doch irgendwie zur Brammermoorer Heerstraße zurück. Endlich entdeckte sie den burgähnlichen Koloß des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, wie ihn der freundliche Tankwart beschrieben hatte, und dahinter tatsächlich die Knochenhauergasse. Knochenhauer… Man hörte es direkt krachen. Da war auch die Kirchgasse und gegenüber das Hotel Stadtwaage mit dem großen Parkplatz.
    Als sie anhielt, erklang gegenüber das helle Glockenspiel der Matthäikirche. Wenn das keine Begrüßung war!
    Katja stieg aus und betrachtete über ihren Wagen hinweg die Pension Meyerdierks. Ein Brammer Bürgerhaus, schmal und zweistöckig, zwischen anderen Brammer Bürgerhäusern. Eine ockerfarbene Backsteinfassade, alle Begrenzungen und Öffnungen eingefaßt von grau getünchten Quadern, über jedem Fenster ein Parthenonfries im kleinen, unter der Dachrinne eine Zierleiste mit Blätterornamentik, griechisch Kymation, über dem Eingang ein Architrav, getragen von korinthischen Säulen mit einem Kapitell aus verschmutztem Stuck. Katja freute sich, daß sie im Kunstunterricht zufällig mal was fürs Leben gelernt hatte.
    So ein Haus müßte man haben, dachte sie, und dann vermieten. Zwei Familien, 700 Mark Miete im Monat… Sie lächelte. Rudimente kleinbürgerlichen Bewußtseins bei einer progressiven Soziologin.
    Wenn man genauer hinsah, machte die Knochenhauergasse schon einen etwas schäbigen Eindruck. Schäbige Eleganz. Wie ein Geigenvirtuose, der früher mal in den Konzertsälen die feinen Leute unterhalten hat und nun im abgewetzten Frack in Altersheimen spielt… Zwei, drei Häuser waren schon abgerissen worden. Da parkten jetzt Autos. Nächste Assoziation: Wie das Gebiß einer alternden Dame – gelbliche Zähne und etliche Lücken. Katja fuhr mit der Zunge den Oberkiefer entlang. Zwei Kronen, einige Plomben. Hoffentlich blieb es ihr erspart, hier in
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