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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Autoren: Janine Berg-Peer
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1996
    Ein Anruf, der alles verändert
    »Sie müssen Ihre Tochter sofort abholen«, sagt der verärgerte Direktor des Internats in England, in dem Lena seit einem Jahr lebt. »Ihre Tochter hat Drogen genommen, sie benimmt sich unmöglich und hört nicht auf die Lehrer. Und sie raucht, obwohl das streng verboten ist. Sie ist hier untragbar.« Man habe sie am Morgen ins Krankenhaus gebracht, um einen Drogentest machen zu lassen. Nun sei sie unter der Aufsicht einer Krankenschwester in der Krankenstation. Keinen Tag länger könne sie im Internat bleiben. Das sei den anderen Kindern nicht zuzumuten.
    Ich bin fassungslos. Besorgt um Lena, aber auch wütend. Was hat sie bloß angestellt? Ich hatte doch gerade den Eindruck, dass es ihr im Internat bessergeht, dass ihr die klaren Strukturen dort guttun. Und ich hatte geglaubt, Lena an einen sicheren Ort gebracht zu haben, an dem sie von ihren kiffenden und Alkohol trinkenden Freunden getrennt ist. Ihre Versetzung war gefährdet, und der Wechsel aufs Internat sollte das Sitzenbleiben verhindern. Außerdem hätte Lena mit einem englischen Schulabschluss bessere Chancen für Studium und Beruf, dachte ich.
    Lena war nur unter Tränen nach England gegangen. Anfangs hasste sie das Internat. Sie hatte Probleme mit den anderen Mädchen, sie räumte im gemeinsamen Zimmer nicht auf und wusch ihre Sachen nicht oft genug. Um sie zu trösten, besuchte ich sie, und gemeinsam verbrachten wir schöne Ferien im Süden Englands. Bei unseren letzten Telefonaten klang Lena zufrieden und vergnügt. Sie erzählte, dass sie die beste Schwimmerin sei, dass ihr das Hockeyspielen keinen Spaß mache, aber dass sie in Englisch und Französisch gute Noten habe. Sie habe nun Freundinnen aus Hongkong, und außerdem gebe es einen Jungen, der Marc heiße und schon 19 Jahre alt sei.
    Als ich meine Tochter nach England ins Internat schickte, habe ich nicht nur an sie gedacht, sondern auch an mich. Ich wollte ihr eine gute Schulbildung ermöglichen, aber ich wollte auch endlich Ruhe haben vor den pubertätsbedingten Schwierigkeiten, die uns im Jahr davor in Atem gehalten hatten. Wir stritten uns oft, ich war mit meiner neuen Selbständigkeit beschäftigt, und Lenas Schulleistungen litten darunter.
    Nach der Trennung von Lenas Vater lebte ich allein mit ihr, ich musste und wollte arbeiten und Geld verdienen. 1995 hatte ich mich als Beraterin selbständig gemacht. Es war aufregend, ein eigenes kleines Büro zu mieten und zum ersten Mal ein eigenes Schild an der Tür anzubringen. Schon vier Monate später bekam ich einen großen Auftrag, der über mehrere Jahre gehen sollte und mich zwang, mehr Mitarbeiter einzustellen. Sechs Monate danach bezog ich ein großes Loft als Büro in Berlin-Mitte. Jetzt arbeite ich begeistert bis zu 16 Stunden am Tag, bin oft vollkommen erschöpft und der glücklichste Mensch auf der Welt. Zum 1. Oktober 1996 habe ich eine herrliche Dachgeschosswohnung mit Terrasse und Blick über Berlin gemietet. Auch Lena soll dort ein schönes Zimmer bekommen. Ich freue mich auf den Umzug.
    Der Anruf aus England bringt alle Planungen durcheinander. Lena muss sofort aus dem Internat abgeholt werden, aber wie soll ich das organisieren? Ich habe ein volles Programm und muss am nächsten Tag wegen eines Seminars nach Hamburg fahren. Ich habe Angst um Lena, bin aber auch wütend auf sie. Was ist bloß passiert? Ich rufe im Internat an, und nach langem Hin und Her werde ich zur Krankenstation durchgestellt. Lena freut sich, meine Stimme zu hören. »Bitte hol mich ab, Mama. Hier ist es schrecklich.« Ihre Stimme klingt normal. »Die anderen auf der Krankenstation schreien mich die ganze Zeit an und sind scheußlich zu mir. Sie lachen über mich. Auch die Krankenschwester brüllt mich an und gibt mir nichts zu trinken. Ich habe Durst.« Ich versichere ihr, dass ich sie abholen werde. »Bitte nicht böse sein, Mama, dass ich dir jetzt wieder Sorgen mache.« Sie weint. Wir reden noch eine Weile, und ich verspreche, sie wieder anzurufen und zu sagen, wann ich komme. Dann lege ich auf.
    Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe Angst um Lena, aber auch Angst um meinen Auftrag und die gerade erst eingestellten Mitarbeiter. Ein Fehler – und sofort stehen größere und bekanntere Beratungsfirmen als meine dem Auftraggeber zur Verfügung. Die Konkurrenz ist mörderisch. Ich kann nicht einmal daran denken, den Auftrag abzusagen. Ohne ihn kann ich weder das Loft noch die neue Dachgeschosswohnung bezahlen.
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