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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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Kriegsdenkmünze, lauter Achtziger, die den Kopf schüttelten, niemand wußte zu sagen, ob vor Alter oder über den Lauf der Welt. Und so ging es nach Groß-Haldern hinein, an dem alten Giebelschlosse vorüber und unmittelbar auf die Feldsteinkirche zu, die, höher gelegen als das sie umgebende Dorf, von terrassenförmig ansteigenden und um diese Jahreszeit dicht in Blumen stehenden Gräberreihen eingefaßt wurde. Vor dem kleinen Rundbogenportale stand der Dorfgeistliche, neben ihm zwei Amtsbrüder, und empfing den Toten an geweihter Stätte. Zugleich setzten die Träger den Sarg nieder, auf den jetzt zunächst Palmenzweige gelegt wurden, und trugen ihn, als dies geschehen, den Mittelgang hinauf, bis vor den Altar. Hier stand der alte Generalsuperintendent, der von Berlin aus mitgekommen war, um die Parentation zu halten; die großen Lichter brannten, und ihr dünner Rauch wirbelte neben dem großen, halbverblakten Altarbilde auf. Es stellte den Verlornen Sohn dar. Aber nicht bei seiner Heimkehr, sondern in seinem Elend und seiner Verlassenheit.
    Die Kirche hatte sich, als der Sarg unmittelbar über der Gruftsenkung niedergelassen war, auf all ihren Plätzen gefüllt, und auch die seit dem Tode Friedrich Wilhelms IV. sonntäglich meist leerstehende herrschaftliche Loge,
heute
war sie besetzt. In Front erblickte man den alten Grafen, Waldemars Vater, in grauem Toupet und Johanniterkreuz, neben ihm in tiefer und soignierter Trauer die Stiefmutter des Toten, eine noch schöne Frau, die, was geschehen war, lediglich vom Standpunkte des »Affronts« aus ansah und mit Hilfe dieser Anschauung über die vorschriftsmäßige Trauer mit beinah mehr als standesgemäßer Würde hinwegkam. Hinter ihr der jüngere Sohn (ihr eigener), Graf Konstantin, dem der ältere Bruder, um das mindeste zu sagen, in nicht unerwünschter Weise Platz gemacht hatte. Seine Haltung war untadelig und gleichfalls von bemerkenswerter Gefaßtheit, ohne die der Mutter ganz erreichen zu können. Ein langes Lied, das teilweis in allerkräftigsten Wendungen allem Erdendunkel einen Riegel vorzuschieben trachtete, wurde gesungen; dann sprach der alte Generalsuperintendent schöne, tiefempfundene Worte – tiefempfundene, weil ihn im eigenen Hause schwerste Schicksalsschläge getroffen hatten –, und als er nun vortrat und den Segen sprach und nach dem Singen des letzten Verses der Ton der Orgel nur noch leise nachzitterte, senkte sich der Sarg mit all den Kränzen, die ganz zuletzt noch auf ihn gehäuft worden waren, in die Gruft hernieder.
    Eine tiefe Stille trat ein, und die fremden Gäste steckten eben die Köpfe zum Schlußgebet in den Hut, als man hinter einem der Pfeiler ein heftiges und beinah krampfhaftes Schluchzen hörte. Die Gräfin sah empört nach der Stelle hin, von der es kam; aber der deckunggebende Pfeiler ließ glücklicherweise nicht erkennen, wer die Anmaßung gehabt hatte, ergriffener sein zu wollen als sie.
     
    Stine, die die Fahrt nach Klein-Haldern schon mit dem Vormittagszuge gemacht und sich, um die Zwischenzeit hinzubringen, eine Stunde lang und länger am Außenrande des Groß-Halderner Parkes und dann wieder auf dem angrenzenden Wiesengrunde, wo sie dem Vieh, das hier weidete, zusah, verweilt hatte, war unter den letzten, die die Kirche verließen. Sie hielt sich abseits, ging noch eine Weile zwischen den Gräbern auf und ab und trat dann langsam ihren Rückweg nach dem Klein-Halderner Bahnhof hin an. Alles war still, es klangen keine Glocken mehr, und sie hörte nichts als die Lerchen, die mit ihrem Tirili aus der ringsumher in Garben stehenden Mahd in die Luft emporstiegen. Eine stieg höher als die andere, und sie sah ihr nach, bis sie hoch oben im Blau verschwunden war. »In den Himmel... Ach, wer ihr folgen könnte... Leben; leben müssen...« Und im Übermaß schmerzlicher Erregung und einer Ohnmacht nahe, setzte sie sich auf einen Stein am Weg und barg ihre Stirn in der Hand.
    Als sie sich nach einer Weile wieder erhob und ihren Weg inmitten der Fahrstraße fortsetzen wollte, hörte sie, daß in ihrem Rücken, von Groß-Haldern her, ein Wagen in raschem Trabe herankam. Und sich umwendend, sah sie, daß es dieselben Personen waren, die während der Trauerfeier mit in dem herrschaftlichen Kirchenstuhle gesessen hatten. In dem letzten Wagen aber saß Waldemars Oheim, den Sommerüberzieher zurückgeschlagen, so daß man das große blaue Ordensland, das des schwedischen Seraphinenordens, in aller Deutlichkeit erkennen konnte.
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