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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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was man so frei sein nennt, seit ich aus meiner Eltern Hause ging, und in manchen Stücken auch früher schon. Aber wie verlief es trotzdem? Wie war es von Jugend an? Wir haben soviel davon geplaudert, und ich habe dir von meinen Kindertagen erzählt und von dem langweiligen Hauslehrer, der den Frommen spielen mußte nach Anweisung und mich mit Sprüchen und Geboten und dem ewigen ›Was ist das‹ quälte und mit dem Glaubensbekenntnis, das ich nie verstand und er auch nicht. Aber der arme, traurige Mensch, der – ich sollte vielleicht nicht spotten, gerade ich nicht – immer einen Katarrh und eine Liebschaft hatte, war lange nicht der schlimmste. Das schlimmste war, daß ich im Hause selbst, bei meinen eignen Eltern, ein Fremder war. Und warum? Ich habe später darauf geachtet und es in mehr als einer Familie gesehn, wie hart Eltern gegen ihre Kinder sind, wenn diese ganz bestimmten Wünschen und Erwartungen nicht entsprechen wollen.«
    Stine, die dieselbe Wahrnehmung auch in ihrer bescheidenen Sphäre gemacht haben mochte, nickte zustimmend, und Waldemar, der sich dieser Zustimmung freute, fuhr deshalb fort: »Es wird wohl überall so sein, und jedenfalls war es so bei uns. Und dazu die Launen und Verstimmungen einer Frau, weil ihr ein Großfürst einmal ein Billet geschrieben, das beinah ein Liebesbillet war, und die sich nun einbildete, nicht viel was andres als eine Mißheirat geschlossen zu haben. Da hast du das Bild meiner Stiefmutter. Den Sommer über war sie verstimmt über das langweilige Landleben und über die Damen der Nachbarschaft, die gar keine Damen waren, wenigstens nicht in ihren Augen, und wenn sie dann winters zu Hofe ging, so war sie noch verstimmter, weil Schönere oder Vornehmere da waren und ihr den Rang abliefen. Und diese schlechte Laune mußt ich entgelten, diese Verstimmungen trafen mich, der ich ihr überhaupt von Anfang an mißfiel. Und als ich dann heranwuchs und wohl auch meinerseits zeigen mochte, daß mir nicht alles gefalle, da war ich vollends nicht auf Rosen gebettet. Und so ging's, bis ich mit neunzehn eintrat und mit zu Felde zog und die Kugel kriegte oder zwei, wovon ich dir erzählt habe. Da wurd es freilich einen Augenblick besser, und ich war ein Vierteljahr lang der Held und Mittelpunkt der Familie; besonders als auch prinzliche Telegramme kamen, die sich nach mir erkundigten. Ja, Stine, das war meine große Zeit. Aber ich hätte sterben oder mich rasch wieder zu Gesundheit und guter Karriere herausmausern müssen, und weil ich weder das eine noch das andre tat und nur so hinlebte, manchem zur Last und keinem zur Lust, da war es mit meinem Ruhme bald vorbei. Der Vater hätt es vielleicht ändern können, wenn er ein festes Eintreten für mich gewagt und nicht seinen Haus-und Ehefrieden über mein Glück gestellt hätte. So konnt er sich nicht aufraffen, und so hab ich denn durch viele Jahre hin gelebt, ohne recht zu wissen, was Herz und Liebe sei. Nun weiß ich es. Und jetzt, wo ich es weiß und mein Glück festhalten will, soll ich es wieder aus der Hand lassen. Und alles bloß, weil du von Ansprüchen sprichst und vielleicht auch daran glaubst, die mir im Blute stecken sollen und die – weil im Blute – gar nicht aufzugeben seien. Ach, meine liebe Stine, was geb ich denn auf? Nichts, gar nichts. Ich sehne mich danach, einen Baum zu pflanzen oder ein Volk Hühner aufsteigen oder auch bloß einen Bienenstock ausschwärmen zu sehen.«
    Er schwieg und sah vor sich hin, Stine aber nahm seine Hand und sagte: »Wie du dich selbst verkennst. Der Tagelöhnersohn aus eurem Dorfe, der mag so leben und dabei glücklich sein; nicht du. Dadurch, daß man anspruchslos sein will, ist man's noch nicht, und es ist ein ander Ding, sich ein armes und einfaches Leben ausmalen oder es wirklich führen. Und für alles, was dann fehlt, soll das Herz aufkommen. Das kann es nicht, und mit einemmal fühlst du, wie klein und arm ich bin. Ach, daß ich in diesem Augenblick so spreche, das ist vielleicht auch schon eine Schwachheit und ein kleines Gefühl; aber ich kämpfe nicht dagegen an, weil ich glaube, daß aus allem, was du vorhast, nur Unheil kommt, nur Enttäuschung und Elend. Der alte Graf ist dagegen und deine Eltern sind dagegen – du sagst es selbst –, und ich habe noch nichts zum Glück ausschlagen sehen, worauf von Anfang an kein Segen lag. Es ist gegen das vierte Gebot, und wer dagegen handelt, der hat keine ruhige Stunde mehr, und das Unglück zieht ihm nach.«
    »Ach, meine
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