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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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tote Äste wie Besen hervorragten. Es waren seine Lieblinge, diese Bäume. »Halb abgestorben und immer noch grün.«
    Endlich war er vom Kronprinzen-Ufer und der Alsenstraße her bis an den reizenden, mit Bosquets und Blumenbeeten und dazwischen wieder mit Marmorbildern und Springbrunnen geschmückten Square gekommen, der, dem Königsplatze vorgelegen, einen Teil desselben ausmacht und doch auch wieder sich von ihm scheidet. Eine frische Brise ging und milderte die Hitze, von den Beeten aber kam ein feiner Duft von Reseda herüber, während drüben bei Kroll das Konzert eben anhob. Unser Kranker sog das alles in vollen Zügen ein, Duft und Melodie: »Wie lange, daß ich nicht so frei geatmet habe. ›Königin, das Leben ist doch schön‹ – unsterbliches Wort eines optimistischen Marquis, und ein pessimistisches Gräflein plappert es ihm nach.«
    Nun schwieg die Musik drüben, und Waldemar, während er zwischen den großen Rondelen auf und ab schlenderte, musterte zugleich die Figuren, die hier mit Hilfe von Sternblumen und roten Verbenen in den Rasen eingezeichnet waren; endlich aber ging er auf eine Bank zu, die, von allerlei dicht dahinter stehendem Strauchwerk überwachsen, einen vollen Schatten gewährte. Da nahm er Platz, denn er war müde geworden. Das viele Gehen in der Hitze hatte seine Kräfte verzehrt, und so schloß er unwillkürlich die Augen und fiel in Traum und Vergessen. Als er wieder erwachte, wußt er nicht, ob es Schlaf oder Ohnmacht gewesen; »ich glaube, so kommt der Tod«, und erst allmählich fand er sich wieder zurecht und bemerkte nun ein Marienwürmchen, das sich ihm auf die Hand gesetzt hatte. Da blieb es und kroch hin und her, trotzdem er schüttelte und pustete. »Einen wie feinen Instinkt die Tiere haben; es weiß, daß es sicher ist.« Endlich aber flog es doch fort, und Waldemar, sich vorbeugend von seiner Bank, begann jetzt allerlei Figuren in den Sand zu zeichnen, ohne recht zu wissen, was er tat. Als er sich's aber bewußt wurde, sah er, daß es Halbkreise waren, die sich, erst enge, dann immer weiter und größer, um seine Stiefelspitze herumzogen. »Unwillkürliches Symbol meiner Tage. Halbkreise! Kein Abschluß, keine Rundung, kein Vollbringen... Halb, halb... Und wenn ich nun einen Querstrich ziehe« (und er zog ihn wirklich), »so hat das Halbe freilich seinen Abschluß, aber die rechte Rundung kommt nicht heraus.«
    In solche Gedanken verloren, saß er noch eine Weile. Dann stand er auf und ging auf seine Wohnung zu.
    Diese, gleich zu Beginn der Zeltenstraße, bestand aus einem zwei Treppen hoch gelegenen Front- und Hinterzimmer, von denen jenes auf die Parkbäume des Krollschen Gartens, dieses auf eine grasbewachsene, bis hart an die Spree sich hinziehende Baustelle sah. Dahinter die roten Dächer von Moabit, und weiter links der grüne Saum der Jungfernheide. Waldemar liebte diesen Blick, und so kam es, daß er das Zimmer, darin er schlief, zugleich zu seinem Wohn-und Arbeitszimmer gemacht und ein altdeutsches Cylinder-Bureau darin aufgestellt hatte.
    Er hielt sich auch heute nicht in dem Vorderzimmer auf, vertauschte den engen Rock mit einem leichten Jackett und trat an das Fenster seines Schlafzimmers. Die Sonne war im Niedergehen, und er entsann sich jenes Tages, als er, von Stines Fenster aus, dasselbe Sonnenuntergangsbild vor Augen gehabt hatte... »Wie damals«, sprach er vor sich hin. Und er sah in die röter werdende Glut, bis endlich der Ball gesunken und volle Dämmerung um ihn her war.
    Auf seinem Schreibzeug lag ein kleiner Revolver, zierlich und mit Elfenbeingriff. Er nahm ihn in die Hand und sagte: »Spielzeug. Und tut es am Ende doch. Bei gutem Willen ist viel möglich; ›mit einer bloßen Nadel‹, sagt Hamlet, und er hat recht. Aber ich kann es nicht. Es ist mir, als wäre hier noch alles weh und wund oder doch eben erst vernarbt. Nein, ich erschrecke davor, trotzdem ich wohl fühle, daß es standesgemäßer und Haldernscher wäre. Doch was tut's! Die Halderns, die mir schon soviel zu vergehen haben, werden mir auch das noch verzeihen müssen. Ich habe nicht Zeit, mich über Punkte wie diese zu grämen.«
    Und er legte den Revolver wieder aus der Hand.
    »Ich muß es also anders versuchen«, fuhr er nach einer Weile fort. »Und schließlich warum nicht? Ist die Blâme denn gar so groß? Kaum. Es finden sich am Ende ganz reputierliche Kameraden. Aber welche? Ich war nie groß im Historischen – überhaupt worin –, und nun versagen mir die Beispiele.
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