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0104 - Portaguerra

0104 - Portaguerra

Titel: 0104 - Portaguerra
Autoren: Richard Wunderer
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Beim Klang seiner Stimme zuckten die Touristinnen zusammen. Es hörte sich an, als habe sich am Col du Lauterset eine Lawine gelöst und donnere jetzt ins Tal.
    Die drei jungen Männer kannten das. Ungerührt drehte sich Jerome, mit dreiundzwanzig Jahren der älteste der Brüder, zu seinem Vater um. »Adieu, Papa! Bis heute abend!«
    »Ihr könnt uns jetzt nicht im Stich lassen!« tobte Pierre Lerois und wurde krebsrot im Gesicht. »Wohin, zum Teufel, wollt ihr? Das Haus ist voll! Wir…«
    »Nur ein kleiner Spaziergang in die Nordwand«, rief Jean, der Jüngste, zurück. »Zum Abendessen sind wir rechtzeitig zurück, Papa!«
    Die Wut des Hotelbesitzers schmolz. Wenn sein Jüngster, mit einundzwanzig Jahren immerhin auch schon ein erwachsener Mann, etwas sagte, war Pierre Lerois hilflos. Er war auf alle seine Söhne stolz, aber der Jüngste war sein Liebling.
    Brummend zog er den Kopf wieder zurück. Hätte er nur dieses eine Mal nicht nachgegeben! Und hätte er daran gedacht, daß die Nordwand des Col du Lauterset auch Todeswand hieß!
    »Diese verdammten Kerle!« schimpfte er, und in seiner Stimme schwang unüberhörbar Anerkennung mit. »Sind die besten Bergsteiger der ganzen Gegend! Aber um die Arbeit drücken sie sich!«
    »Du warst früher auch nicht anders, Pierre«, sagte seine algerische Frau Anouk. »Es gab keinen Berg, auf den du nicht geklettert bist!«
    »Schon richtig!« Pierre Lerois lächelte wohlgefällig über seine eigenen Leistungen.
    »Heute geht es bei dir nicht mehr«, fügte sie hinzu, und ihre schwarzen Glutaugen blitzten spöttisch auf. »Zu viel Wein und zu gutes Essen! Mit deinem Bauch würdest du wie ein Stein abstürzen!«
    Pierres Lächeln erlosch. »Hexe«, murmelte er und sah seinen Söhnen nach, die noch einmal fröhlich winkten und bald darauf hinter den wild aufgetürmten Felsen des Gipfelplateaus verschwanden.
    Pierre Lerois sah seine drei Söhne nicht zum letzten Mal, jedoch zum letzten Mal lebend…
    Jean, Jacques und Jerome steuerten mit kräftesparenden, elastischen Schritten der Nordwand zu. Alle drei hatten die dunkle Haut der algerischen Mutter, die schwarzen Augen und die geschmeidigen Bewegungen geerbt. Vom Vater hatten sie die kraftstrotzenden Gestalten.
    Sie waren in drei aufeinanderfolgenden Jahren geboren worden, Jean mit den schwarzen Haaren der Mutter und Jerome mit den blonden des Vaters. Nur über Jacques, den Mittleren, zerrissen sich die Leute den Mund, woher wohl seine roten Haare stammten. Sogar seinem Vater kamen auch heute, zweiundzwanzig Jahre nach Jacques Geburt, noch manchmal Zweifel. Nur Mutter Anouk wußte, daß auch dieser Junge von ihrem Pierre war. Irgendein rothaariger Vorfahre hatte durchgeschlagen.
    Die drei Lerois-Brüder, alle unverheiratet, waren die begehrtesten Junggesellen in weitem Umkreis. Überall drehten sich die Mädchen nach ihnen um, auch im nahen Grenoble, wenn sie in eine Bar oder eine Diskothek einfielen, um eine Nacht durchzufeiern. Sie waren jung, sahen blendend aus, waren wild und noch ungezügelt.
    Richtige Kerle, von denen Mädchen träumen.
    Und sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Daran dachte noch heute ein paar Rabauken aus dem Tal, die wegen einer Mädchengeschichte vor einigen Jahren Jean aufgelauert und übel zugerichtet hatten. Jacques und Jerome hatten erst ihren jüngeren Bruder ins Krankenhaus gebracht. Anschließend bekamen die Schläger Zahnund Kopfschmerzen. Es hatte sich in diesem Teil der französischen Alpen herumgesprochen. Seither ließ man die Lerois-Brüder lieber in Ruhe.
    Jerome ging voran. Der Älteste war immer der Anführer der verschworenen Gemeinschaft gewesen.
    »He, lauf nicht so!« rief Jean, der das Schlußlicht bildete. »Oder willst du möglichst schnell wieder zu den Engländerinnen zurück?«
    Jerome wandte für einen Moment den Kopf. »Paß auf deinen losen Mund auf!« warnte er lachend. »Das sind zwei ganz tolle Käfer, aber eben nur zwei. Nicht wahr, Jacques, die teilen wir beide unter uns auf. Der Kleine soll seinen Teddybären aus der Spielkiste holen.«
    »Gute Idee«, stimmte Jacques zu. »Mutter kann ihm Grießbrei kochen. Danach schläft es sich gut!«
    »Ich werde euch beiden gleich…«, rief Jean aufgebracht, aber das schallende Gelächter seiner Brüder ließ erkennen, daß er ihnen auf den Leim gegangen war. Er war nicht nachtragend und lachte mit.
    Ihre derben Schuhe stießen gegen lockeres Geröll. Am Wegrand standen große Warntafeln. In flammend roter Schrift und in
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