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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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Stine wollte nicht gesehen sein und trat mit halber Wendung zur Seite, der alte Graf aber hatte sie schon von fernher erkannt, und einer flüchtig in ihm aufsteigenden Verlegenheit rasch Herr werdend, erhob er sich im Wagen und lud sie durch eine freundlich-verbindliche Handbewegung zum Einsteigen ein. Über Stines Züge ging ein Leuchten, das der schönste Dank für des alten Grafen, bei Gelegenheiten wie diese,
nie
versagende Ritterlichkeit war, aber zugleich schüttelte sie den Kopf und ging unter gelegentlichem Verweilen und sich dadurch absichtlich verspätend auf Klein-Haldern zu, von dessen Kirschallee aus sie bald danach die weiße Dampfwolke des auf die Hauptstadt zueilenden Zuges sah. Eine Stunde später, soviel wußte sie, kam ein zweiter Zug, und bis dahin allein zu sein war ihr keinenfalls unwillkommen, ja recht eigentlich das, wonach sie sich sehnte.
    Dazu ward ihr nun freilich mehr Gelegenheit, als ihr lieb war. Die Zeit wollte nicht enden, und sie sah unausgesetzt den langen Schienenweg hinauf, immer nach der einen Seite hin, von der der Zug kommen mußte. Vergebens, er schien ausbleiben zu wollen. Und doch war sie todmüde von Erregung und Anstrengung und fror, und ihre Füße trugen sie kaum noch. Endlich aber sah sie, daß die Signale gezogen wurden, und bald danach auch, daß die großen Feueraugen immer näher und näher kamen. Und nun Halt. Eine Coupétür wurde geöffnet, und rasch einsteigend, drückte sie sich, Wärme halber, in eine der Ecken und zog ihre Mantille fester um ihre Schultern. Aber es half zu nichts, und ein Fieber schüttelte sie, während der Zug nach Berlin weiterdampfte.
     
    »Stine, Kind, wie siehst du denn aus! Dir sitzt ja der Dod um die Nase.« So waren die Worte, womit die schon lange am ersten Treppengeländer wartende Witwe Pittelkow ihr Stinechen empfing und nicht zuließ, daß sie noch höher hinauf in ihre Polzinsche Wohnung stiege.
    »Komm, Kind, und leg dich man gleich hier aufs Bett. Na, ich sage... War's denn so doll? Oder haben sie dich geschubst? Oder haben sie dich wegjagen wollen? Oder
er
vielleicht? Na, dann erlebt er was, dann jag ich ihn zum Deibel. Olga, Baby, wo bist du denn? Uff, sag ich, un mache Feuer. Un wenn's kocht, rufst du mir. Hörst du... Jott, Stine, du bibberst ja man so. Was haben se dir denn gedan?« Und dabei knöpfte sie der Schwester das Kleid auf und schob ihr Kissen unter und deckte sie mit zwei Deckbetten zu.
    Nach einer halben Stunde hatte sich Stine soweit erholt, daß sie sprechen konnte.
    »Na, nu wird es ja wieder«, sagte Pauline. »Wenn die Mühle erst wieder geht, is auch wieder Wind da. Kind, dir war ja die Puste reine weg, un ich dachte schon, nu stirbt die auch noch.«
    Stine nahm ihrer Schwester Hand, klopfte und streichelte sie und sagte: »Ich wollte, es wäre so.«
    »Ach, rede doch nich
so
, Stine. Du wirst ja schon wieder werden. Un bei allens is auch wieder 'n Glück. Jott, er war ja soweit ganz gut un eigentlich ein anständiger Mensch, un nich so wie der Olle, der ans Ganze schuld is; warum hat er 'n mitgebracht? Aber viel los war nich mit ihm; er war doch man miesig.«
    Stine fühlte sich unter der Schwester Guttat erleichtert, und die Tränen rannen ihr übers Gesicht.
    »Weine man, Stinechen, weine man orntlich. Wenn's erst wieder drippelt, is es schon halb vorbei, grade wie bei 's Gewitter. Un nu trink noch 'ne Tasse... Olga, wo bist du denn? Ich glaube, die Jöre schnarcht schon wieder... Un nächsten Sonntag is Sedan, da machen wir auf nach 'n Finkenkrug un fahren Karussell un würfeln. Un dann würfelst du wieder alle zwölfe.«
    Die Polzin hatte horchend am Treppengeländer oben gestanden und mit nur zu geübtem Ohre jedes der Worte gehört, womit die Pittelkow ihr Stinechen unten an der Korridortür empfangen hatte. Gleich danach aber, als sie die Tür unten ins Schloß fallen hörte, war sie wieder in ihre Stube gegangen, wo sich Polzin eben zu seiner Nachttoilette rüstete. Von einer solchen ließ sich wirklich sprechen, denn er trug, weil er andauernd an einem trockenen Husten litt, auch beim Zubettgehen eine schwarze, mit einem dicken Tuchstreifen gefütterte Militärkrawatte.
    »Nu«, frug er, während er eben das Leder in die Schnalle schob. »Is sie heil wieder da?«
    »Heil? Was heißt heil?
Die
wird nich wieder.«
    »Is eigentlich schade drum.«
    »I wo. Gar nich... Das kommt davon.«
     
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