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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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Hannibal... Weiter komm ich nicht. Indessen er kann genügen. Und es werden gewiß noch ein paar sein.«
    Während er so sprach, zog er eins der unteren Schubfächer in seinem Schreibtisch auf und suchte nach einem Schächtelchen. Als er's endlich hatte, fiel er wieder in Betrachtungen. »Auch klein. Noch kleiner als das Spielzeug da. Und doch genug. Es ist ein Ersparnis aus alten Zeiten her, und mein Vorgefühl war richtig, als ich mir's damals sammelte.«
    Bei diesen Worten stand er auf, stellte sich eine noch aus dem Süden mitgebrachte römische Lampe zurecht und nahm, als er die vier kleinen Dochte derselben angezündet hatte, Couverts und Briefbogen aus einer vor ihm liegenden Schreibmappe.
    Dann schrieb er.
    »Mein lieber Onkel! Wenn Du diese Zeilen erhältst, sind alle Wirrnisse gelöst. Etwas gewaltsam. Aber das ist gleich. Es wird Dir obliegen, und jedenfalls bitte ich Dich darum, das Geschehene nach Groß-Haldern hin zu melden. Was über mich entschied, war, wie Du bei Eintreffen dieser Zeilen vielleicht schon wissen, jedenfalls aber sehr bald erfahren wirst, der Widerstand von ganz anderer und sehr unerwarteter Seite her. Und so kam, was kam. Ich klage niemanden an; ist wer schuldig, so bin
ich
es. Das gute Kind hatte nur zu recht, mich auszuschlagen; aber ich war nicht mehr stark genug, mich drein zu ergeben. Auf dem letzten Blatt meines Notizbuches hab ich über mein Erbteil von meiner Mutter Seite her verfügt. Ich hoffe sagen zu können, verfügt auch unter schuldiger Rücksicht gegen die Halderns. Überweise das Blatt an Justizrat Erbkamm; er wird danach verfahren. Allerdings weiß ich, daß sie, der diese Festsetzungen zugute kommen und als ein Ausdruck meines Dankes gelten sollen, alles ablehnen wird; aber sorge dafür, daß ihr ein bestimmter Teil gesichert bleibt, auch gegen ihren Willen. Ein Wille kann sich ändern, und es beglückt mich die Vorstellung, vielleicht noch einmal, und wenn es nach vielen Jahren wäre, da helfen und wohltun zu können, wo mir's leider, wenn auch absichtslos, beschieden war, ein Herz zu beschweren und ihm wehe zu tun. An meinen Vater schreib ich nicht; ich wünsche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Meine Sache kann ich in keine besseren Hände legen als in die Deinen, denn ich weiß wohl, was ich, trotz alledem und alledem, an Dir hatte. So wenig Haldernsch ich vielleicht war, so wünsch ich doch in der Haldernschen Gruft zu stehen. Dies mein Letztes. Deiner freundlichen Erinnerung bin ich gewiß.
    Dein Waldemar«
     
    Er schob das Blatt beiseite, legte die Feder nieder und fuhr sich über Aug und Stirn.
    »Und nun das Letzte.«
    Und er nahm einen zweiten Bogen und schrieb.
    »Meine liebe Stine! Du wolltest nicht den weiten Weg mit mir machen, und so mache ich den weiteren. Ich glaube, was Du tatest, war richtig, und ich hoffe,
das
, womit ich nun abschließe, soll es auch sein. Es gibt oft nur
ein
Mittel, alles wieder in Ordnung zu bringen. Vor allem klage Dich nicht an. Die Stunden, die wir zusammen verlebten, waren, vom ersten Tage an, Sonnenuntergangsstunden, und dabei ist es geblieben. Aber es waren doch glückliche Stunden. Ich danke Dir für alle Freundlichkeit und Liebe. Mein Leben hat doch nun einen Inhalt gehabt. ›Vergiß mich‹ – das darf ich nicht sagen, es käme mir nicht von Herzen und wär auch töricht, denn ich weiß, Du wirst es nicht und kannst es nicht. So denn also: gedenke mein. Aber gedenke meiner freundlich, und vor allem verzichte nicht auf Hoffnung und Glück, weil
ich
darauf verzichtete. Lebe wohl. Ich schulde Dir das Beste.
    Dein Waldemar«
     
    Als er beide Briefe couvertiert hatte, warf er sich in den Stuhl zurück, und die freundlichen Bilder, die dieser Sommer ihm gebracht hatte, zogen noch einmal an seiner Seele vorüber. So wenigstens schien es, denn er lächelte. Dann aber nahm er das bereitgestellte Schächtelchen und schob das Innenkästchen aus der äußeren Hülse heraus. Es ging schwer, und man konnte sehen, daß er lange daran gesammelt und immer neue Käpselchen hineingezwängt hatte. »Schlafpulver! Ja, ich wußte, daß eure Stunde kommen würde.« Und nun brach er die Kapseln einzeln auf und tat ihren Inhalt, langsam und sorglich, in ein kleines, halb mit Wasser gefülltes Rubinglas. »So, das ist es.« Und während er das Glas hob und wieder niedersetzte, trat er noch einmal ans Fenster und sah hinaus. Der Mond, eine schwache Sichel, war aufgegangen und schüttete sein Licht über den Fluß und weit jenseit desselben
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