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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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wollt er mir ein'n Tort antun. Ja, so is er. Na, es hilft nu nich und, Gott sei Dank, vor achten kommt er nich. Und nun gehst du zu Wanda und sagst ihr... Ne, laß man... Bestellen kannst du's doch nich, es is zu lang zum Bestellen... Ich werd dir lieber einen Zettel schreiben.«
    Und mit diesen Worten trat sie, von der Tür her, wo dies Gespräch stattgefunden, an einen überaus eleganten und um eben deshalb zu Haus und Wohnung wenig passenden Rokokoschreibtisch heran, auf dem eine fast noch mehr überraschende ledergepreßte Schreibmappe lag. In dieser Mappe begann jetzt die noch immer hochaufgeschürzte Frau nach einem Stück Briefpapier zu suchen, anfangs ziemlich ruhig, als sich aber, nach dreimaligem Durchblättern der roten Löschpapierbogen, immer noch nichts gefunden hatte, brach ihre schlechte Laune wieder los und richtete sich, wie gewöhnlich, gegen Olga: »Hast es wieder weggenommen un Puppen ausgeschnitten.«
    »Nein, Mutter, wahr un wahrhaftig nich; ich kann es dir zuschwören.«
    »Ach, geh mir mit dein ewiges Geschwöre. Haste denn gar nichts?«
    »Ja, mein Schreibebuch.«
    Und Olga lief, so rasch es ging, in das Neben- und Hinterzimmer und kam dann mit einem blauen Schreibehefte zurück. Die Mutter riß ohne weiteres die letzte Seite heraus, auf deren oberster Zeile lauter »ch's« standen, und kritzelte nun mit verhältnismäßiger Schnelligkeit einen Brief fertig, faltete das Blatt zweimal und verklebte die noch offene Stelle mit Briefmarkenstreifen, von denen sie die gummireichsten immer mit dem Bemerken »Is besser als englisch Pflaster« aufzuheben pflegte. »So, Olgachen. Nun gehst du zu Wanda un gibst ihr das. Und wenn sie nich da is, gibst du's an den alten Schlichting. Aber nich an seine Frau un auch nich an die Flora, die kuckt immer rein un braucht nicht alles zu wissen. Und wenn du zurückkommst, dann gehste mit zu Bolzanin ran und bestellst 'ne Torte.«
    »Was für eine?« fragte Olga, deren Gesicht sich plötzlich verklärte.
    »Appelsine... Un bezahlst sie gleich. Un wenn du sie bezahlt hast, sagste, daß er nichts drauflegen soll, auch keine Appelsinenstücke, die doch bloß Pelle un Steine sind... Und nun geh, Olgachen, un mach flink, und wenn du wieder da bist, kannst du dir drüben bei Marzahn auch für 'n Sechser Gerstenbonbons kaufen.«
     
Zweites Kapitel
     
    Olga säumte nicht und ging in die Hinterstube, um hier ihr rot und schwarz kariertes Umschlagetuch zu holen, das, neben einem etwas verschlissenen Schnurrenhut, ihr gewöhnliches Straßenkostüm bildete. Witwe Pittelkow in Person aber stieg, nachdem sie das immer noch schreiende Kind in eine ganz vornehm ausgestattete Himmelwiege gelegt und ihm eine Flasche mit Saugpfropfen in den Mund gesteckt hatte, zwei Treppen höher zu Polzins hinauf, wo ihre Schwester Stine Chambre garnie wohnte.
    Polzins waren gutsituierte Leute, die das mit dem Chambre garnie gar nicht nötig gehabt hätten, aber trotzdem, aus purem Geiz, alles vermieteten, oder doch soviel wie irgend möglich, um ihrerseits frei wohnen zu können oder, wie Frau Polzin sich ausdrückte, »für umsonst einzusitzen«. Er, Polzin, war, seiner eigenen Angabe nach, »Teppichfabrikant« (allerdings niedrigster Observanz) und beschränkte sich darauf, unter geflissentlicher Verachtung aller Komplementärfarbengesetze, schmale, kaum fingerbreite Tuchstreifen wie Stroh oder Binsen nebeneinanderzuflechten und dies Geflecht als »Polzinsche Teppiche« zu verkaufen. »Sehen Sie«, so schloß jedes seiner Geschäftsgespräche, »solch ›Polzinscher‹« (er behandelte sich dabei ganz als historische Person) »wird nie alle; wenn eine Stelle weggetreten is oder der Eßtisch mit seinem Rollfuß ein Loch eingerissen hat, nehm ich ein paar alte Streifen raus un setz ein paar neue rein, un alles is wieder propper un fix un fertig. Sehen Sie, so sind die ›Polzinschen‹. Aber wenn der Smyrnaer ein Loch hat, dann hat er's, und da hilft kein Gott nich.«
    Polzin, wie sich aus diesem Redestück ergibt, neigte zu philosophischer Betrachtung; ein Zug, der durch das zweite Metier, das er betrieb, noch eine ganz erhebliche Stärkung erfuhr. Während der Abendstunden nämlich war er bei sich bietenden Gelegenheiten auch noch Lohndiener und wegen seiner Vorsicht und Geschicklichkeit beim Präsentieren in dem zwischen Invaliden- und Chausseestraße gelegenen Stadtteil allgemein beliebt, was Frau Polzin in ihren Gesprächen mit der Pittelkow immer wieder betonte: »Sehn Sie, liebe
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