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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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hingegeben, kam Olga bis an die Chausseestraße, wo, wie gewöhnlich in dieser kirchhofreichen Gegend, ein großes Begräbnis die Straßenpassage hemmte.
    Olga, weitab davon, irgendwelchen Anstoß an dieser Wegestörung zu nehmen, wünschte ganz im Gegenteil, dieselbe so lange wie möglich andauern zu sehen, und stellte sich, besseren Überblicks halber, auf eine vor einem Öl- und Spiritusgeschäft angebrachte Steintreppe. Der Wagen mit dem Sarge war schon eine Weile vorüber, so daß sie nur noch das versilberte Kreuz über einem Meer von schwarzen Hüten hin und her schwanken sah. Kutschen fehlten im Zuge (so wenigstens schien es), dafür aber folgten allerlei Baugewerke mit Bannern und Musik, und während noch aus der Front her der Trauermarsch der Zimmerleute bis weit nach rückwärts tönte, klang schon aus der Mitte des Zuges und vom Oranienburger Tor her ein zweiter und dritter Trauermarsch herauf, so daß Olga nicht wußte, worauf sie hören und welchem Geblase sie den Vorzug geben sollte. Neben dem eigentlichen Gefolge drängten breite Volksmassen mit vorwärts und ließen nur allemal eine schmale Gasse frei, wenn reitende Schutzleute von der Queue her bis an die Spitze des Zuges und dann wieder zurücksprengten. »Wer es nur is?« dachte Olga, in deren Herzen etwas wie Neid aufkeimte, so schön begraben zu werden, aber soviel sie horchte, sie konnte es bei den mit ihr auf der Steintreppe Stehenden nicht mit Bestimmtheit in Erfahrung bringen. Einer versicherte, daß es ein alter Mauerpolier, ein anderer, daß es ein reicher Ratszimmermeister sei, während eine mit braunem Torfstaub ganz überdeckte Frau, die der herannahende Zug sichtlich beim Abladen unterbrochen hatte, von nichts Geringerem als von einem Minister für Maurer- und Zimmerleute wissen wollte. »Dummes Zeug«, unterbrach sie der nebenan wohnende Budiker, »so was gibt es ja gar nich.« Aber das Torfweib ließ sich nicht stören und sagte nur: »Warum nich, warum soll es so was nich geben?« Und so stritt man sich hin und her. Endlich aber war der Zug vorüber, und Olga passierte nun den Damm und bog hundert Schritte weiter abwärts in die Tieckstraße ein.
    Nummer 27a war das dritte Haus von der Ecke: fünf Fenster Front, drei Stock und eine kleine Mansarde. Der Wirt, ein Kupferschmied, hatte den Hof in eine halb offene Werkstatt verwandelt, in der nun, den ganzen Tag über, auf oft zweimannshohen Braukesseln herumgehämmert wurde, bei welchem Gedröhn und Gehämmre Wanda ihre Rollen lernte. Es tat ihr nichts, ja sie hätte nirgends lieber wohnen mögen, und der Kupferschmiedegeselle, der auf der obersten Kesselrundung oft stundenlang herumritt und sich dabei in platonischer Liebe (der einzigen, die Wanda so kleinen Leuten gestattete) verzehrte, war jedesmal ihr guter Freund. Ihre von Glasermeister Schlichting abgemietete Wohnung lag nämlich nach dem Hofe hinaus und hatte
hier
ihren eigentlichen Auf- und Eingang. Hier befand sich denn auch ihre Klingel und ihre Karte: »Wanda Grützmacher, Schauspielerin am Nordend-Theater.«
    Und dieses Titels durfte sie sich rühmen wie manche Berühmtere. War sie doch ein Liebling der Bühne, die das Glück hatte, sie zu besitzen, und nicht nur ein Liebling des Publikums, sondern auch des Direktors, der, persönlicher Beziehungen zu geschweigen, vor allem
das
an ihr schätzte, daß sie, mit Ausnahme der Gage, vollkommen prätensionslos war und alles spielte, was vorkam. »Immer tapfer in die Bresche« war einer ihrer Lieblingssätze. Sie war überhaupt für leben und lebenlassen, behandelte delikate Vorkommnisse von einem gewissen höheren Standpunkt aus und hatte stereotype, dem urältesten Berliner Witzfonds entnommene Wendungen, in denen sich ihre Stellung zum »Ideal« ausdrückte. Sie zog dementsprechend »ein gutes Gehalt einer schlechten Behandlung vor«, und wenn ihr bei Soupers mit Bourgeoiswitwern, einer ihr besonders sympathischen Gesellschaftsklasse, die Speisekarte gereicht wurde, so zeigte sie mit einem ihr kleidenden und seine Wirkung nie verfehlenden Ernst auf das rasch als Bestes und Teuerstes Erkannte, jedesmal feierlich hinzusetzend: »Dafür laß ich mein Leben.«
    So Wanda Grützmacher, Tieckstraße 27a.
    Olga, die sonderbarerweise noch nie Bestellungen bei der Schauspielerin zu machen gehabt hatte, klingelte zunächst vorn bei Schlichtings, und Fräulein Flora Schlichting erschien denn auch, halb verschlafen, an der Tür und öffnete.
    »Is Fräulein Wanda zu Haus?«
    »Zu Haus is
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