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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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freilich etwas angekränkelten Blondine gelten konnte.
    Stine sah der immer noch mit dem Spiegel beschäftigten Schwester eine Weile zu, dann erhob sie sich, hielt ihr die Hand vor die Augen und sagte: »Nun hast du aber genug, Pauline. Du mußt doch nachgerade wissen, wie die Invalidenstraße aussieht.«
    »Hast recht, Kind. Aber so is der Mensch; immer das Dummste gefällt ihm un beschäftigt ihn, un wenn ich in den Spiegel kucke und all die Menschen und Pferde drin sehe, dann denk ich, es is doch woll anders als so mit bloßen Augen. Un ein bißchen anders is es auch. Ich glaube, der Spiegel verkleinert, un verkleinern is fast ebensogut wie verhübschen. Aber du brauchst nicht kleiner zu werden, Stine, du kannst so bleiben, wie du bist. Ja, wahrhaftig. Aber, warum ich komme... Jott, man hat doch auch keine ruhige Stunde.«
    »Was is denn?«
    »Er kommt heute wieder.«
    »Nu, Pauline, das is doch kein Unglück. Bedenke doch, daß er für alles sorgt. Und so gut, wie er ist, und gar nich so.«
    »Na, ich wollt ihm auch. Und den alten Baron bringt er auch mit, und noch einen.«
    »Und noch einen?
Wen
denn?«
    »Lies.«
    Und sie reichte Stine den eben erhaltenen Brief, und diese las nun mit halblauter Stimme: »Mein lieber schwarzer Deibel. Ich komme heute, aber nicht allein; Papageno kommt mit und ein Neffe von mir auch; natürlich noch jung und etwas blaß. ›Aber bleich und blaß, ei, die Weiber lieben das.‹ Sorge nur, daß Wanda kommt und Stine. Wein schick ich und eine Salatschüssel. Aber für alles andre mußt
Du
sorgen. Nichts Apartes, nichts Großes, bloß so wie immer. Dein Sarastro.«
    »Wer ist denn der Neffe?« fragte Stine.
    »Weiß ich nich. Wer kann alle Neffens kennen. Denkst du, daß ich mich um seinen Stammbaum kümmere. Jott, wie mag es damit aussehen. Na, überhaupt Stammbäume.«
    »Laß ihn das nich hören.«
    »Oh, der hört noch ganz andres. Oder denkst du, daß ich mir wegen eine Treppe hoch mit Klavier un Diwan un wegen 'nen Schreibtisch, der immer wackelt, weil er dünne Beine hat, ein Pechpflaster aufkleben soll? Nein, Stinechen, da kennst du deine Schwester schlecht. Oder wegen den blassen Neffen? Ich denk ihn mir so.« Und dabei zog sie das Gesicht in die Länge und drückte mit Daum und Zeigefinger die beiden Backen ein.
    Stine lachte. »Ja, damit wirst du's wohl getroffen haben. Und überhaupt, ich find es unpassend und ungebildet, daß er den jungen Menschen mitbringt. Ein Onkel ist doch immer so was wie 'ne Respektsperson. Für sich mag er ja tun, was er will; aber solchen jungen Menschen... ich weiß nicht, Pauline. Findst du nich auch?«
    »Na, ob ich finde. Natürlich; erst recht. Aber, Kind, wenn wir davon erst reden wollen, denn is kein Ende. Das is nu mal so; sie taugen alle nichts und is auch recht gut so; wenigstens für unsereins – mit
dir
is es was anders – und für alle, die so tief drinsitzen un nich aus noch ein wissen. Denn wovon soll man denn am Ende leben?«
    »Von Arbeit.«
    »Ach Jott, Arbeit. Bist du jung, Stine. Gewiß, arbeiten is gut, un wenn ich mir so die Ärmel aufkremple, is mir eigentlich immer am wohlsten. Aber, du weißt ja, denn is man mal krank un elend, un Olga muß in die Schule. Wo soll man's denn hernehmen? Ach, das is ein langes Kapitel, Stine. Na, du kommst doch? So Klocker acht, oder lieber noch ein bißchen eh'r.«
     
Drittes Kapitel
     
    Während die Pittelkow oben bei Stine war, um sich dieser für den Abend zu versichern, ging Olga die Invalidenstraße hinauf, um erst den Brief abzugeben und dann auf dem Rückwege bei Konditor Bolzani die Torte zu bestellen. Es war ihr Eile befohlen, aber sie kehrte sich nicht dran, freute sich vielmehr, eine Stunde lang ohne mütterliche Kontrolle zu sein, und getröstete sich, »daß es noch lange hin sei bis Abend«. An allen Läden blieb sie stehen, am längsten vor dem Schaufenster eines Putzgeschäfts, aus dessen buntem Inhalt sie sich abwechselnd eine rote Schärpe mit Goldfranzen und dann wieder einen braunen Kastorhut mit Reiherfeder als Schönstes wünschte. Diesen Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen, war freilich wenig Aussicht vorhanden, aber es schadete nicht viel, weil sich ihre nächste Zukunft unter allen Umständen angenehm genug gestalten mußte. Wanda, wie sie von Tante Stine her wußte, hatte meistens Sandtorte, ja mitunter sogar Schokoladenplätzchen in ihrem Schrank, und wenn sich beides auch nicht erfüllte, so blieben doch immer noch die Gerstenbonbons.
    Solchen Betrachtungen
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