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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
Autoren: Edward O. Wilson
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PROLOG
    Kein Geheimnis des geistigen Lebens ist schwerer zu fassen und heißer begehrt als der Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Natur. Seit Urzeiten erforscht, wer danach sucht, das Labyrinth der Mythen: im Religiösen die Schöpfungsmythen und die Träume der Propheten; in der Philosophie die Erkenntnisse der Introspektion und das darauf beruhende Denken; in der Kunst Aussagen, die auf einem Drama der Sinne beruhen.
    Besonders die große bildende Kunst ist Ausdruck vom Unterwegssein eines Menschen, Anspielung auf Gefühlsregungen, die sich nicht in Worte fassen lassen. Vielleicht liegt ja in dem, was bis heute verborgen bleibt, eine tiefere, wesentlichere Bedeutung. Paul Gauguin, der Geheimnisjäger und berühmte Mythenschöpfer ( Maker of Myth lautete kürzlich der Titel einer Londoner Ausstellung[ 1 ]), war auf der Suche danach. Seine Geschichte ist eine würdige Kulisse für die moderne Antwort, die in dieser Arbeit vorgestellt werden soll.
    Gegen Ende 1897 machte sich Gauguin in Punaauia, drei Meilen von der Hafenstadt Papeete auf Tahiti, an die Arbeit an seinem größten und bedeutendsten Gemälde. Er war von der Syphilis geschwächt und litt infolge mehrerer Herzinfarkte an Lähmungen. Sein Geld war beinahe aufgebraucht, und dazu kam noch eine Depression, weil kurz zuvor seine Tochter Aline in Dänemark einer Lungenentzündung erlegen war.
    Gauguin wusste, dass seine Tage gezählt waren. Er schuf dieses Gemälde in dem Bewusstsein, dass es sein letztes sein würde. Und als er fertig war, stieg er in die Berge hinter Papeete und wollte sich das Leben nehmen. Er hatte ein Fläschchen Arsen bei sich; vielleicht wusste er nicht, wie grausam dieser Gifttod verläuft. Er wollte sich verstecken, um es einzunehmen, damit sein Leichnam nicht gleich gefunden und lieber von den Ameisen gefressen würde.
    Dann aber wich seine Entschlossenheit, und er kehrte nach Punaauia zurück. Obwohl sein Leben im Grunde zerstört war, hatte er beschlossen, weiter seinen Mann zu stehen. Um sich über Wasser zu halten, nahm er in Papeete eine Stelle beim Bauamt an, wo er am Tag sechs Francs verdiente. 1901 zog er sich noch weiter zurück und siedelte sich auf der kleinen, abgelegenen Marquesas-Insel Hiva Oa an. Zwei Jahre später – er war inzwischen tief in Konflikte mit der Obrigkeit verstrickt – starb Gauguin infolge seiner Syphilis an Herzversagen. Er wurde auf dem katholischen Friedhof von Hiva Oa begraben.
    «Ich bin ein Wilder», schrieb er wenige Tage vor seinem Ende an einen Verwaltungsbeamten. «Und die zivilisierten Menschen spüren das: Denn in meinem Werk ist nichts, was verwundert, verwirrt, höchstens dieses ‹unfreiwillige Wildsein›.»[ 2 ]
    Gauguin war nach Französisch-Polynesien gekommen, an dieses fast unmögliche Ende der Welt (nur die Pitcairn- und die Osterinsel sind noch abgelegener), weil er dort sowohl Frieden zu finden hoffte als auch ein neues Grenzland für seine künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Das Grenzland fand er, den Frieden nicht.
    Gauguins körperliche und geistige Reise war unter den großen Künstlern seiner Zeit eine Ausnahme. Er war 1848 in Paris geboren und von seiner halbperuanischen Mutter in Lima, später in Orléans erzogen worden. Dieser ethnische Mix war ein Omen für seine Zukunft. Als junger Mann trat Gauguin in die französische Handelsmarine ein und reiste sechs Jahre lang um die Welt. Dabei wurde er 1870 und 1871 auf dem Mittelmeer und auf der Nordsee Zeuge von Kampfhandlungen im Französisch-Russischen Krieg. Zurück in Paris, hatte er zunächst kaum Gedanken für die Kunst, sondern wurde unter der Federführung seines wohlhabenden Vormunds Gustave Arosa Börsenmakler. Arosa, ein bedeutender Sammler französischer Kunst, auch der ganz neuen impressionistischen Werke, entfachte und förderte Gauguins Interesse an der Kunst. Nach einem Börsenkrach im Januar 1882 und der Pleite seiner Bank wandte sich Gauguin ganz der Malerei zu und begann sein beträchtliches Talent zu entfalten. Er war begeistert von den besten Impressionisten – Pissarro, Cézanne, van Gogh, Manet, Seurat, Degas – und bemühte sich um die Aufnahme in ihre Kreise. Auf vielen Reisen, von Pontoise nach Rouen, von Pont-Aven nach Paris, schuf er Porträts, Stillleben, Landschaften, und die zunehmend phantastische Prägung seiner Werke deutet auf den Gauguin voraus, der sich erst noch entwickeln sollte.
    Doch aus Enttäuschung über das Erreichte blieb Gauguin nur kurz im Kreis seiner
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