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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen
Autoren: Greg Bear
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Hochglanzfotos von Filmstars zierten. Die meisten der schicken Porträts waren signiert – Andenken an Josephs Zeit als Filmproduzent. Peter erkannte sie alle: schöne Menschen, und wenn nicht schön, dann wenigstens seelenvoll. Einige mit grüblerischem, andere mit sonnigem Gesichtsausdruck. Manche gaben sich humorvoll, manche würdevoll. Einige wirkten verführerisch, andere unzugänglich. Doch unabhängig davon, welche Haltung sie einnahmen: Alle strebten sie nach Beachtung und Anerkennung. Schon vor langer Zeit war ihm etwas aufgegangen, das für fast alle Schauspielerinnen und Schauspieler galt: Zu realen Menschen wurden sie erst, wenn sie Zuschauer hatten – wenn sie auf der Leinwand agierten. Hinter verschlossenen Türen waren sie einsame Menschen, denn in Wirklichkeit steckten sie ja in Filmspulen, waren eingesperrt in ein dunkles Metallgehäuse… Wenn ein Schauspieler kein Publikum hat, wenn ihm niemand zusieht, ist das für ihn schlimmer als die Vorhölle.
    »Alles klar«, sagte Michelle, als sie zurückkam. »Er ist vorzeigbar.« Sie öffnete eine Tür am Ende des Ganges. »Joseph, hier ist Peter.«
    »Wer sollte es denn sonst sein, Eliot Ness [i] vielleicht?«, bellte eine Stimme aus dem Dunkeln.
    Michelle seufzte. »Sie bekommen eine zehnprozentige Sonderzulage, wenn er nach Ihrem Besuch ein zufriedener Mensch ist.«
    »Das hab ich gehört!«
    Michelle stöhnte laut auf und machte die Tür hinter Peter zu.
    Joseph saß in einem riesigen Ledersessel neben Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und auf einen falschen Balkon hinausgingen. Der Mauervorsprung war nur dreißig Zentimeter breit und mit einem schwarzen schmiedeeisernen Geländer eingefasst. Die Lampen der Zufahrtsstraße und das letzte Aufleuchten des Abendhimmels tauchten den alten Mann in breite, körnige Streifen von Licht, so dass sich seine Silhouette deutlich vom dunklen Hintergrund abhob. Es sah so aus, als hätte jemand Josephs Umrisse mit Kreide auf Samt skizziert. Der Raum war mit zwei braunen Ledersofas ausgestattet, zwischen denen ein schwerer quadratischer Tisch aus schwarzem Granit stand, außerdem mit einer uralten Theke aus Eichenholz, die angeblich aus einer Kneipe in Dodge City stammte.
    »Verdammt unangenehmer Besuch«, bemerkte Joseph. »Hat Weinstein versucht, Sie mit ins Boot zu holen?«
    »Tja, den Ehrgeiz hatte er wohl.«
    »Und will’s mit Zins und Zinseszins vergüten.«
    Peter nickte. Nach und nach gewöhnten sich seine Augen ans Zwielicht.
    »Hat er Ihnen Aktien versprochen, falls Sie mich zum Investieren überreden?«
    »Und Bares auf die Hand.«
    Joseph kicherte. »Die bearbeiten mich schon seit einer Woche, dabei funktionieren die gottverdammten Dinger überhaupt nicht. Man könnte ja meinen, dass die das prüfen, ehe sie versuchen, einen reichen alten Dummkopf anzugraben.« Es schwang etwas Seltsames in dieser Formulierung mit. »Das Aller triumphiert über den Reichtum«, murmelte er. »Und die Dummheit über das Alter.« Er starrte weiter aus dem Fenster, während Peter knapp zwei Meter vor seinem Sessel stehen blieb. »Jedenfalls bin ich froh, dass Sie da sind. Ich brauche Sie nämlich, Sie sollen in meinem Auftrag eine Frau besuchen. Interessiert?«
    »Ihnen zuliebe jederzeit.«
    »Möglicherweise hat sie mehr Charisma als jede andere Frau auf dieser Welt; mit Sicherheit zählt sie zu den Klügsten. Ginge ich selbst, würde sie mich glatt in den Sack stecken. Aber Sie… Sie kennen die Frauen besser als sonst jemand. Sie werden’s überleben.«
    Peter deutete ein skeptisches Lächeln an.
    »Das stimmt aber. Sie haben’s mit gut zweihundert Frauen getrieben, haben zweitausend oder mehr fotografiert, und Michelle mag Sie wirklich. Ich kenne keinen anderen Mann, der mit einer solchen Biografie aufwarten kann.«
    »Wer hat Ihnen mein Sündenregister offenbart?«
    »Wir kennen einander lange genug. Selbstverständlich habe ich einige Auskünfte über Sie eingeholt, ehe ich Ihre Filme finanziert habe.«
    »Was Sie da anführen, ist aber leicht übertrieben. Allerdings hab ich nie Buch geführt…«
    Joseph streckte die Hand hoch, spreizte die Finger und ließ sie wieder auf die Sessellehne fallen. »Ehe sie mich traf, kannte Michelle viele Fotografen. Langhaarige Mistkerle, Schweine und Scheißtypen hat sie die genannt. Aber Sie hat sie immer davon ausgenommen.«
    »Ich bin also ein Ehrenmann?«
    »Bestimmt nicht, wenn Sie für mich arbeiten.« Joseph verlagerte seinen Sitz. »Die Frau, die Sie treffen
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