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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen
Autoren: Greg Bear
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werden, ist zwar schon siebzig Jahre alt, aber die schönste, die ich je gesehen habe. Niemand kann ihr das Wasser reichen. Ich hab sie im Fernsehen erlebt. Ihre Zähne sind nicht perfekt, aber sie lächelt wie irgendeine asiatische Heilige, wie die auch heißen mag…«
    »Kwan Yin?«
    »Kann sein. Sie nennt sich jetzt Sandaji, früher hieß sie Carolyn Lumley Pierce. Sie stammt aus der Bay Area und hat mal als New-Age-Groupie angefangen. Aber nach den Informationen, die ich über sie eingeholt habe, ist sie durch die Hölle gegangen und seitdem klüger. Erstaunliche Geschichte. Sie hält Meditationsseminare in Pasadena ab.« Joseph senkte die Stimme zu einem nachdrücklichen Flüstern. »Ich möchte, dass Sie ein Geldbündel – zehntausend Dollar in Hunderter-Scheinen – auf ihren Spendenteller legen. Und danach stellen Sie ihr meine Frage und bringen mir morgen früh die Antwort.«
    Das, was Peter für Joseph erledigte, war ganz unterschiedlicher Natur und häufig recht seltsam, aber Ähnliches hatte er noch nie für ihn getan. Er selbst mochte die New-Age-Typen nicht, weder die Führer noch die Anhänger. Sie hatten ihn enttäuscht.
    »Hier ist die Wegbeschreibung. Und die Kohle.« Joseph streckte ihm ein zusammengefaltetes Blatt und ein dickes Bündel Geldscheine hin. »Und sagen Sie nichts zu Michelle. Sie ist immer noch sauer auf mich, weil ich letzte Woche eine Viertelmillion Dollar für eine Armbanduhr ausgegeben habe.«
    »Mein Gott«, entfuhr es Peter.
    »Ist eine gute Uhr«, erwiderte Joseph gereizt. Er zog das Ärmelbündchen seines Pullovers so hoch, dass breites, glänzendes Platin zu sehen war. »Vielleicht vererbe ich sie Ihnen, wenn ich sterbe.«
    »Ich bin ein bescheidener Mensch«, entgegnete Peter.
    »Nun gut. Michelle hängt mir sowieso schon am Kragen, also sagen Sie ihr nicht, wie viel Geld hier im Spiel ist, ja?«
    »Alles klar.« Peter verstaute das Geld und die Wegbeschreibung in der Jackentasche. Die Scheine drückten gegen das Irans.
    Joseph fröstelte. »Verdammt noch mal, ist es kalt hier drinnen! Sie sehen bedrückt aus, Peter, noch schlimmer als ich, und dabei fühle ich mich wie ein matschiger alter Kohlkopf. Was ist los?«
    »Mein Freund ist gestorben. Ein Schriftsteller namens Phil Richards.«
    »Das tut mir Leid. Freunde… Man kann es sich nicht leisten, auch nur einen zu verlieren.« Josephs Blick wandte sich von Peter ab und wanderte in die hinterste Zimmerecke. »Da draußen spiegelt sich irgendwo Mondlicht im Wasser«, murmelte er. Als Peter über Josephs Schulter blickte, sah er, dass ein schwacher, milchig-trüber Lichtschein über die Zimmerdecke spielte. Gleich darauf war er verschwunden.
    »Was soll ich die Frau denn überhaupt fragen?«
    »Ich habe einen Termin für ein Gespräch unter vier Augen ausgemacht. Sie werden völliges Stillschweigen darüber bewahren. Ich vertraue Ihnen, Peter… aber ich möchte trotzdem, dass Sie’s mir versprechen. Schwören Sie’s mir – so gut ein Atheist dem anderen etwas schwören kann, ja?«
    »Ich schwör’s bei meinem Leben.«
    Das schien Joseph auszureichen. Wie ein Schuljunge, der gleich etwas aufsagen möchte, faltete er die Hände im Schoß. Peter hatte ihn noch nie so verwundbar erlebt. »Fragen Sie Sandaji, ob sie es für möglich hält, dass jemand ohne Seele leben kann. Fragen Sie das unter vier Augen, nicht vor all diesen Arschkriechern und Gecken mit den weißen Kragen, die sich bei ihr eingenistet haben.«
    »Ob jemand – ohne Seele – leben kann«, wiederholte Peter.
    »Machen Sie sich nicht lustig über mich, Peter Russell.« Josephs Stimme klang jetzt hart und prononciert. Im Licht des aufgehenden Mondes wirkte sein Gesicht so stählern wie ein teures Messer.
    »Ich wollte nicht unhöflich sein, Mr. Benoliel«, erklärte Peter. »Wollte mir nur einprägen, was ich zu fragen habe.«
     
    •
     
    »In letzter Zeit ist er dermaßen mies drauf«, sagte Michelle im Eingang, während sie Peter die Haustür aufhielt. Die Lampen der Veranda tauchten die Steinmauern in gedämpftes goldenes Licht. »Bitte heitern Sie ihn auf.«
    »Ist das nicht Ihre Aufgabe?«
    »Sie sind heute Abend aber kurz angebunden.«
    »Mein bester Freund ist gerade gestorben.«
    »O Scheiße, tatsächlich?« Michelle wirkte schockiert und plötzlich traurig. Ihre Miene veränderte sich so, als ginge der Vorhang zu einem neuen Theaterstück auf. Sie richtete sich auf und ließ die Tür los. »Wie steht’s mit Ihrer Zeit? Können Sie noch auf
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