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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen
Autoren: Greg Bear
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bei Modeaufnahmen herumgehangen, aber er hatte Peter auch dabei geholfen, dessen sperrige, unverkäufliche Drahtskulpturen auf der Ladefläche des alten Ford Pick-ups zu verstauen, den sie über Jahre miteinander geteilt hatten.
    Nur den Pritschenwagen, nicht die Frauen, hatte Phil sich beklagt.
    Der schlanke, drahtige Phil mit dem kurzen mausgrauen Haar, der jedes Mal, wenn er eine nackte Frau gesehen hatte, so lieb gelächelt hatte. Der sich mit solcher Unbeholfenheit und Hingabe nach dem weiblichen Geschlecht gesehnt hatte.
    »Alles in Ordnung bei dir, Peter?«, fragte Carla aus weiter Ferne.
    »Herzinfarkt«, wiederholte Peter und hob das Handy wieder an den Mund.
    »Oder ein Gehirnschlag, es steht noch nicht fest. Sie hat die Nachricht wirklich sehr geschmackvoll überbracht. Es tut mir so Leid.«
    Er stellte sich Clara bei sich zu Hause vor. Clara, die ewige Enddreißigerin mit ihren gazellenartigen langen Beinen, die sicher in Radlerhosen steckten. Darüber ein blendend weißes elegantes Männerhemd mit hochgekrempelten Ärmeln, das sie in der Taille zusammengeknotet hatte, um ihren glatten flachen Bauch zu betonen.
    »Danke, Carla. Du gehst wohl besser, ehe Helen kommt«, sagte Peter nicht unfreundlich.
    »Ich lege den Schlüssel wieder in die Glocke. Ach ja, Peter, ich bin deine Mappen kurz durchgegangen. Hast du irgendwelche sexy Hochglanzfotos von mir, die ich ausleihen kann? Ich hab einen neuen Agenten, toller Typ, echt clever, und der will neue Sed-Cards von mir zusammenstellen. Ich bin in der engsten Auswahl für eine Kreditkartenwerbung.«
    Carlas Agenten waren stets tolle Typen und echt clever gewesen. Und alle hatten sie in doppelter Hinsicht über den Tisch gezogen, ohne dass sie je daraus gelernt hätte. »Ich werd mal nachsehen«, erwiderte Peter, obwohl er bezweifelte, dass sexy Fotos ihr viel nützen würden.
    »Du weißt ja, wo du mich findest.«
    Allerdings. Und auch, wie sie roch und sich anfühlte. Mit einem Anflug unbestimmter Schuldgefühle hockte sich Peter auf den alten Sitz im sonnendurchfluteten Wagen, ließ die Tür halb offen und ein Bein heraushängen. Das aufgeheizte, zerschlissene Leder wärmte seine Hoden. Als ein cremefarbener Toyota Lexus vorbeisauste und hupte, zog er das Bein ein, schloss die Tür und kurbelte das Fenster so weit wie möglich – auf halbe Höhe – herunter. Sein Hals war schweißnass. In einer Stunde musste er in Malibu sein und präsentabel aussehen. Sein breites Gesicht über dem sorgfältig gestutzten, grau melierten Bart wirkte zerknittert.
    Als Mann von achtundfünfzig Jahren konnte er es sich nicht einmal leisten, auch nur zehn Minuten alles stehen und liegen zu lassen und um seinen besten Freund zu weinen. »Verdammt noch mal, Phil«, murmelte er, während er mit einer Hand die Augen vor der Sonne und dem Verkehr abschirmte.
    Er ließ den Motor an und nahm auf dem Rückweg zu seinem Haus, einem quadratischen Flachbau aus den Fünfzigerjahren in den Hügeln von Glendale, die Nebenstraßen. Als er ankam, war Carla bereits gegangen, nur ihr Parfümduft, Gardenia, hing noch in der warmen, unbewegten Luft auf der Terrasse. Helen war spät dran, vielleicht würde sie auch gar nicht kommen – er wusste nie, wofür sie sich letztendlich entscheiden würde –, also duschte er schnell und roch bald darauf frisch gewaschen und nach Seife. Er zog ein blau-rotes Hawaii-Hemd an, griff nach seinem besten Aktenkoffer aus kastanienbraunem Leder und verließ das Haus durch die alten Flügeltüren zur Terrasse. Der hoch aufgeschossene Jasmin, der am Spalier rankte, hatte ein paar Blüten getrieben. Ihr süßlicher Duft mischte sich mit Carlas Parfüm.
    Einen Augenblick blieb Peter auf den roten Fliesen stehen und blickte durch das Spalier zu dem strahlend blauen Himmel empor. Schwer atmend drückte er den Ellbogen gegen einen rauen, von der Sonne verwitterten Pfosten: Wieder einmal spürte er die alte Beklemmung, die er stets in engen Räumen, Winkeln und an dunklen Orten empfand, besonders dann, wenn sich Dinge ereigneten, auf die er keinen Einfluss nehmen konnte, oder wenn er keine Fluchtmöglichkeiten sah. Eine Minute verstrich, dann eine zweite, bis sein Atem wieder ruhiger ging. Er holte so tief wie möglich Luft und drückte mit zwei Fingern auf die Innenseite seines Handgelenks, um den Puls zu überprüfen. Ganz normal. Als er mit der hohlen Hand ein paar Mal kräftig unter das Brustbein drückte, löste sich der Knoten in seiner Brust. Bisher hatte er noch
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