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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen
Autoren: Greg Bear
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nie einen Arzt gefragt, warum das funktionierte, aber es klappte jedes Mal.
    Nachdem er sein Gesicht mit einem Papiertaschentuch abgewischt hatte, kritzelte er eine Nachricht für Helen auf die verschmierte Tafel, die unter der Soleri-Glocke festgenagelt war.
    Danach griff er in den ehemaligen Ölbehälter, der nun als Stauraum im Freien diente und auf zwei Sägeböcken thronte, und zog ein leichtes Sommerjackett aus beigefarbener Seide heraus, das einzige, das er besaß. Vor sechs Jahren hatte er es in einem Ramschladen erstanden. Er schnupperte daran: Es roch nicht allzu moderig und würde es auch diesen Sommer, der sowieso schon in den Herbst überging, noch tun.
     
    •
     
    Er ließ den alten Porsche im Leerlauf rückwärts aus der Garage rollen. Der Motor ließ ein Brummen ertönen, das in ein sanftes Heulen überging, nachdem Peter mit dem langen Schalthebel – ebenfalls uralt und mit Holzknauf versehen – den ersten Gang eingelegt hatte.
    Das Letzte, was er von Phil gehört hatte, war, dass er in Nordkalifornien herumreiste und versuchte, mit einem Roman weiterzukommen. Sie hatten sich schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Peter überlegte, warum Freunde nicht wöchentlich oder sogar täglich miteinander Verbindung hielten. Schließlich hatte er einige der schönsten Augenblicke seines Lebens mit Phil verbracht, der einen ganzen Raum zum Strahlen hatte bringen können, wenn ihm danach gewesen war.
    Peter wischte sich über die Augen, aber sie waren trocken, wie er an den Fingerknöcheln sah. Vielleicht würde er heute Abend Zeit zum Trauern finden. Allerdings war es gut möglich, dass Helen Lindsey bei ihm absetzte, und wenn er in Lindseys Gegenwart zu weinen anfing, würde womöglich eine Wunde aufreißen, die er besser gar nicht erst anrührte. Er konnte es sich nicht leisten.
    Während er auf das Meer und Salammbo zufuhr, das Anwesen von Joseph Adrian Benoliel, fühlte er sich wie betäubt.

 
Kapitel 2
     
    Trotz der gedämpften Farben war der Sonnenuntergang bemerkenswert: Der Himmel über den Hügeln und dem Meer wirkte wie Lapislazuli, und durch die braune Dunstglocke hindurch schimmerte die Sonne strahlend gelb wie ein Edelstein über dem grauen Wasser. Auf der kleinen, von Palmen gesäumten Straße, vorbei an grünen Rasenflächen, die so gepflegt wie Golfplätze wirkten und hier und da von Eukalyptus-Bäumen durchbrochen wurden, zuckelte Peter Russell im zweiten Gang dahin. Das Flaubert-Haus warf einen langen kühlen Schatten über die Zufahrt und den grasgrünen Eingangsbereich. Grillen zirpten balzend.
    Das Anwesen Salammbo nahm acht Hektar Grund und Boden in bester Hanglage oberhalb von Malibu ein. Es hatte alles überlebt: Feuer, Erdbeben, Erdverschiebungen, die Weltwirtschaftskrise, die Karrieren zweier hier residierender Filmstars, deren Sterne im Lauf der Zeit gesunken waren, und selbst die Erschließung der Umgebung als Wohngebiet. In den mehr als dreißig Jahren, die Peter in Los Angeles und dem Tal verbracht hatte, war er niemals auf ein ähnliches Anwesen gestoßen. Es bestand aus zwei riesigen, verwinkelten Herrenhäusern, die man außer Sichtweite voneinander errichtet hatte. Beide boten einen herrlichen Ausblick auf die Abhänge und Täler voller Kreosotbüsche und Salbei; man konnte sogar bis nach Carbon Beach sehen.
    Salammbo war der ideale Ort, um sich den eigenen Illusionen hinzugeben: dem schönen Traum, dass man sich Frieden erkaufen kann, dass Macht für immer währt, dass die Zeit vorbeieilt, ohne die schönen Seiten des eigenen Lebens zu berühren – Verschrobenheiten, Lebensstil, Abschirmung nach außen, mit viel Geld erkauft. Was Salammbo mit seiner Erhabenheit und Selbstsicherheit ausstrahlte, war die Gewissheit, dass das Leben unbeschadet von allen Krisen weitergeht, besonders wenn man über das nötige Kleingeld verfügt. Allerdings ließ sich in der Geschichte Salammbos einiges finden, das diese Gewissheit infrage stellte.
    Salammbo war so, wie sich Neureiche den Himmel vorstellen mögen: Sein steingewordenes Motto lautete: Das Haus des Herrn hat viele Wohnungen. Nur war der Herr in diesem Fall im Jahre 1946 von der Welt verschieden. »Lordy« Trenton war in Wirklichkeit gar kein Adliger, sondern ein Schauspieler, der in Stummfilm-Komödien mitwirkte. Aufgewachsen in den Catskill Mountains und anfangs ein völlig unbeschriebenes Blatt, machte er schließlich Karriere und konkurrierte mehr als zwölf Jahre mit Charly Chaplin, Buster Keaton und Harold Lloyd.
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