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Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Titel: Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Autoren: Gil Adamson
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Die Lakemba
    Ich sehe das lange, schwere Sofa über das Linoleum auf mich zu schlittern und trete aus seiner Bahn. Der Himmel vor dem Fenster ist grau, die meisten Leute im Salon sind grün. Das Sofa kracht gegen die Wand, scheint die Lage kurz zu überdenken und macht sich dann von Neuem auf den Weg, quer über das Parkett. Meine Mutter, die woanders sitzt, blickt mit flammend roten Wangen hoch; über ihren Kopf neigt sich beflissen eine Lampe.
    Meine Mutter sieht, dass es mir gut geht, und wendet sich wieder ihrer Lektüre zu, Durrells Alexandria-Quartett . Vor ihrem geistigen Auge brennt eine gewaltige Bibliothek. Pergamentblätter fliegen aus den Fenstern, werden vom Wind aufs Meer hinausgetragen. Meine Mutter ist in Balthasar verliebt. Die Lampe schwenkt zur Seite und beugt sich über die Frau neben meiner Mutter, wie um zu sehen, was die liest. Ich sehe das Sofa zurückkommen. Eine Plastikente rollt ihm auf ihren Rädern in den Weg und quiekt gedämpft auf, als sie gegen die Wand gequetscht wird.
    Wir kehren von Australien nach Hause zurück, und unser Schiff, die Lakemba , wird bald den Äquator überqueren. Die Sonne brennt auf das weite Deck herunter. Die Holzliegestühle sind mit Gurten festgeschnallt; das Meer hebt und senkt sich so schräg zum Deck, dass einem schwummrig wird. Ich sitze auf einem Plastikpferd und ziehe die Füße hoch. Da rutsche ich über den Boden auf meine Mutter zu. Ihr Gesicht taucht auf, jung, gerötet und heißhungrig auf Balthasar. »Oh Hazel, Darling!«, sagt sie und streckt eine schmale Hand nach mir aus, aber ich rutsche wieder davon; Tische, Stühle, andere Kinder, das Zweieinhalb-Meter-Sofa, alles kreist auf trägen Umlaufbahnen.
    »Ist dir heiß? Es ist so heiß«, sagt sie und schließt kurz die Augen.
    »Komm wieder her«, sagt sie, und wir warten beide darauf, dass es sich von selbst ergibt.
    Es könne noch viel schlimmer werden, hat man uns gewarnt. Heute ist schon der vierte schlimme Tag, und langsam gewöhne ich mich daran. Meine Mutter macht sich Sorgen um mich, sie hat noch keine anderen Kinder, um die sie sich sorgen könnte. Aber es geht mir gut. Angst habe ich nur vor dem Schlafengehen – vor der mondlosen Nacht und der wild schwankenden Wand neben meinem Bett.
    Es ist Nacht, und wir sind noch acht Tage von Vancouver entfernt. Das Schiff ist immer noch im Dunkel verloren, nichts beweist uns, dass wir nicht träumen. Über den Oberdecks ragen, geschmückt mit Girlanden aus kleinen Lichtern, Masten in die Nacht hinauf, dazu Antennen und andere seltsame Leitungen, Röhren und Trichter. Die Lichter zeichnen die Form des Schiffes nach. Die weißen Böden der Decks wirken wie leere, von Scheinwerfern erleuchtete Theaterbühnen. Die eine oder andere Frau wankt vorüber, der eine oder andere Bedienstete in zerknitterter weißer Uniform. Um Mitternacht marschiert der Kapitän vorbei, mit zwei Frauen, die sich links und rechts an seine Arme klammern. Der Kapitän geht schnurgerade, als hafte er magnetisch auf dem schwankenden Metallboden. Meine Mutter kann nicht schlafen; sie späht aus unserem Kabinenfenster und sieht die drei vorbeiziehen – einen Mann mit zwei weiblichen, im Nachtwind flatternden Flaggen.
    »Da sind sie wieder, North!«, flüstert sie meinem Vater zu, der aber weiterschläft. »Wie können die bei der Hitze trinken?« Dann kommt sie zu meinem Bett herüber, wo ich zwischen zwei zusammengerollten Decken klemme wie ein Wiener Würstchen in der Semmel, und sieht mich an.
    Die Nächte auf diesem Schiff sind für mich das reine Grauen. Ich bin noch sehr klein und vergesse immer wieder, dass jeder Tag mit dem Schlafengehen endet. Ich schlafe oben im Stockbett. Die Stahlfüße des Betts sind an den Boden genietet, aber nicht fest genug, und mit jedem Schlingern des Schiffs löst sich mein Bett von der Wand und klafft in den dunklen Raum hinein. Ich mache unsinnige Versuche, mich mit feuchten Fingern an der Wand festzuhalten. Das Bett kippelt am Abgrund, beschließt, diesmal nicht umzustürzen, und schlägt mit einem scharfen Peng an die Wand zurück. Das wiederholt sich gnadenlos, bis ich schließlich einschlafe. Ich denke an unsere Wohnung in Sydney, an die Nachbarhäuser, an unser Viertel, ein Gewirr wie aus Pappschachteln, und in meinen Träumen schwankt die ganze Erde, alle Häuser stoßen oben aneinander und rattern wie Kisten auf einem Laster.
    Für den Fall, dass wir das Schiff verlassen müssen, hat meine Mutter eine Notfalltasche gepackt: Pflaster,
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