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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher
Autoren: Stanislaw Lem
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der ich Hilfe gewärtigen könnte. Aber die Gegend war eine komplette Sternwüste, die wegen ihrer Gefährlichkeit von allen Raumschiffen gemieden wurde, weil sich dort die geheimnisvollen Gravitationsstrudel befinden – hundertsiebenundvierzig an der Zahl –, deren Existenz durch sechs astrophysikalische Theorien erklärt wird, und von jeder anders.
      Der Kosmonautenkalender warnte vor ihnen wegen der unberechenbaren Folgen der relativistischen Effekte, die ein Durchgang durch solch einen Strudel haben kann – zumal bei großer Eigengeschwindigkeit.
      Ich war ratlos. Ich berechnete nur, daß ich etwa um elf den Rand des ersten Strudels streifen würde, also beeilte ich mich mit den Frühstücksvorbereitungen, um nicht nüchtern der Gefahr die Stirn bieten zu müssen. Kaum hatte ich die letzte Untertasse abgetrocknet, begann das Raumschiff nach allen Seiten zu schlingern, so daß die ungenügend befestigten Gegenstände von Wand zu Wand polterten. Mit Müh und Not kroch ich zum Sessel. Als ich mich daran festgebunden hatte, bemerkte ich während der immer heftigeren Sprünge des Raumschiffs, daß eine Art blaßlila Nebel den gegenüberliegenden Teil der Rakete füllte und dort, zwischen Spülbecken und Küchenherd, eine nebelhafte Menschengestalt in einer Schürze stand, die Omelettenteig in die Bratpfanne goß. Die Gestalt sah mich prüfend an, ohne sich jedoch zu wundern, daraufhin löste sie sich auf und verschwand. Ich rieb mir die Augen. Ich war ganz offensichtlich allein, also schrieb ich jenes Bild einer zeitweiligen Geistestrübung zu.
      Während ich noch im Sessel saß oder vielmehr mit ihm hüpfte, kam mir die blitzartige Erleuchtung, daß dies keineswegs eine Halluzination gewesen war. Als der dicke Band der Allgemeinen Relativitätstheorie an meinem Sessel vorübersegelte, versuchte ich ihn zu fassen, was mir schon beim vierten Mal gelang. Das Blättern in dem dicken Buch war unter diesen Umständen recht beschwerlich, denn gewaltige Kräfte schüttelten das Schiff, so daß es wie betrunken taumelte, aber schließlich fand ich den richtigen Absatz. Da war die Rede von der sogenannten Zeitschleife, das heißt von der Krümmung der Richtung, in der die Zeit im Bereich mächtiger Gravitationsfelder fließt. Diese Erscheinung könne sogar dazu führen, daß der Lauf der Zeit umgekehrt wird und eine sogenannte Verdoppelung der Gegenwart erfolgt. Der Strudel, den ich gerade durchquert hatte, gehörte nicht zu den mächtigsten. Ich wußte, gelänge es mir, die Schiffsspitze nur eine Winzigkeit mehr zum Pol der Galaxis zu richten, dann würde ich den sogenannten Vortex Gravitatiosus Pinckenbachii durchschneiden, in dem mehrfach Phänomene der Verdoppelung und sogar der Verdreifachung der Gegenwart beobachtet wurden.
      Die Steuerung konnte ich zwar nicht betätigen, aber ich begab mich in die Motorenkammer und manipulierte so lange an den Vorrichtungen, bis ich tatsächlich eine leichte Kursänderung des Raumschiffs zum galaktischen Pol hin bewirkte. Diese Operation nahm mehrere Stunden in Anspruch. Das Ergebnis übertraf meine Erwartungen. Gegen Mitternacht geriet das Schiff in das Zentrum eines Strudels, es bebte und ächzte dermaßen in allen Spanten, daß ich schon befürchtete, es könnte zerbrechen, aber es kam heil aus der Bedrängnis heraus, und als die toten Arme der kosmischen Stille es erneut umfingen, verließ ich die Motorenkammer und erblickte mich selbst friedlich im Bett schlummernd. Ich begriff sofort, daß ich das war, und zwar vom Vortag, genauer: aus der Nacht zum Montag. Ohne mir über den philosophischen Aspekt dieser recht eigenartigen Erscheinung besondere Gedanken zu machen, begann ich sogleich, den Schlafenden an der Schulter zu zerren und zu rufen, er möge rasch aufstehen; ich wußte nämlich nicht, wie lange seine montägliche Existenz in meiner dienstäglichen fortdauern würde, weshalb es angezeigt war, möglichst schnell und gemeinsam die Steuerung auszubessern.
      Der Schlafende jedoch machte nur ein Auge auf und sagte, daß er nicht wünsche, von mir geduzt zu werden, dann meinte er, ich sei nur sein Traumgespinst. Vergebens rüttelte ich ihn voller Ungeduld, vergebens versuchte ich, ihn mit Gewalt aus dem Bett zu zerren. Er ließ sich auf nichts ein und wiederholte hartnäckig, daß er mich träume; ich begann zu fluchen, doch er erklärte mir logisch, daß er nirgends hingehen werde, denn Schrauben, die man im Traum festziehe, würden die Steuerung in der
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